Verstummte Stimmen

Die Vertreibung der Juden
aus der Oper

1933 bis 1945

18.05.2008 – 04.07.2008

Eine Ausstellung von Hannes Heer,

Jürgen Kesting und Peter Schmidt

Verstummte Stimmen

„Verstummte Stimmen. Die Vertreibung der ,Juden’ aus der Oper 1933 bis 1945“ wurde 2006 gemeinsam von dem Hamburger Historiker Hannes Heer, dem Musikjournalisten Jürgen Kesting und dem Gestalter Peter Schmidt realisiert und von der Axel-Springer-Stiftung finanziert.

Die Ausstellung wurde in der Staatsoper Hamburg und der Axel-Springer-Galerie 2006 präsentiert. Es folgten 2008 als Ausstellungsorte die Staatsoper Unter den Linden und das Centrum Judaicum in Berlin sowie die Staatsoper Stuttgart und das dortige Haus der Geschichte.

Nach der Präsentation im Hessischen Staatsarchiv, dem Staatstheater und der Heinrich-Emanuel-Merck-Schule in Darmstadt im Jahr 2009 ist die Ausstellung 2011 an die Semperoper und das Staatsschauspiel Dresden eingeladen. Ab 2012 war die Ausstellung in Bayreuth zu sehen, zuerst im Rathaus und auf dem Gelände der Bayeuther Festspiele. Der Ausstellungsteil auf dem Festspielhügel wurde 2015 zur Dauerinstallation umgewandelt.

Historischer Hintergrund

Die Kulturpolitik der Nationalsozialisten war –wie alle anderen gesellschaftlichen Bereiche während ihrer Diktatur – von antisemitischer und politischer Verfolgung geprägt. Mit Hilfe der antisemitischen Rassegesetze und Verordnungen versuchte das Nazi-Regime, den gesamten kulturellen Lebensbereich „judenfrei“ zu machen und sog. „Kultur-Bolschewisten“ aus dem Kulturbetrieb zu vertreiben. Als der deutschen Bevölkerung 1937 und 38 in den Ausstellungen „Entartete Kunst“ (München, auf Initiative von Propagandaminister Goebbels) und „Entartete Musik“ (Düsseldorf, unter der Leitung von Staatsrat Hans Severus Ziegler) die von den Nazis verfemten Künstler präsentiert wurden, waren die Konservatorien, Akademien, Theater und Opernhäuser in Deutschland bereits ebenso gleichgeschaltet, wie die berufsständischen Organisationen der Künstler.

„Ideologisch“ war der Boden für die Verfolgung jüdischer Musiker bereits Mitte des 19. Jahrhunderts durch Richard Wagners (1813-1883) Aufsatz „Das Judentum in der Musik“ (erstmals 1850) bereitet. Darin spricht der Komponist seinen jüdischen Kollegen jegliche Schöpferkraft ab und wirft ihnen vor, sie könnten „nur nachsprechen, nachkünsteln“. Einer der Vordenker des Nationalsozialismus, Houston Stewart Chamberlain (1855-1927), fokussierte das völkisch-nationale Erbe Wagners für den Bayreuther Kreis, an den er sich durch die Heirat mit Wagners Tochter Eva band (1908). Sein antisemitisches Hauptwerk, „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ von 1899, fand nicht nur bei Goebbels und Hitler begeisterte Aufnahme,sondern auch bei Alfred Rosenberg (1893-1946, in Nürnberg hingerichtet).

Rosenberg, nach Hitler der maßgebliche Ideologe der NSDAP („Mythus des 20. Jahrhunderts“, 1930), gründete 1928, im Auftrag der Partei, den Kampfbund für deutsche Kultur (KfdK), eine „auf kulturell frisierte SA“. Der Kampfbund, von Eva Chamberlain und Wagners Schwiegertochter Winifred unterstützt, organisierte eigene Veranstaltungen und agierte durch Boykottaufrufe und Störaktionen gegen sog. „artfremde“ Musikveranstaltungen. Schoenberg, Hindemith, Weill oder Krenek waren die Feindbilder des Kampfbundes.
Nach dem Sieg der NSDAP im Januar 1933 sorgte er durch gewalttätige Aktionen für die Absetzung von Intendanten und Generalmusikdirektoren und verhinderte die Konzerte namhafter Künstler, z. B. von Bruno Walter und Otto Klemperer. Durch das Wirken des Kampfbundes konnte das neue Regime auf eine gut entwickelte „Personal und Infrastruktur“ zurückgreifen und Leitungsfunktionen in allen Kulturbereichen in kürzester Zeit mit regimetreuen Kräften besetzen. Schon im November 1933 wurde der gesamte Kulturbetrieb unter Aufsicht des Propagandaministeriums in der Reichskulturkammer neu organisiert. Jeder, der im Reich künstlerisch tätig sein wollte, musste von da an Mitglied der Standesorganisation Reichskulturkammer und deren spezieller Berufskammern sein. Faktisch kamen die Bestimmungen über die Aufnahme etwa in die Reichsmusik- bzw. Reichstheaterkammer einem Berufsverbot für Juden gleich. Mehr noch: die zuständigen Stellen fahndeten gezielt nach Nicht-Ariern im Musikbetrieb. Als „hilfreich“ bei dieser Suche erwies sich das von Theo Stengel und Herbert Gerigk 1940 herausgegebene Lexikon der Juden in der Musik. Über Otto Klemperer heißt es dort beispielsweise: „1927 wurde er dann zum OpDir [Operndirektor] und GMD [Generalmusikdirektor] der Krolloper in Berlin bestellt, die er zur jüdisch-marxistischen Experimentierbühne herabwürdigte und in wenigen Jahren künstlerisch und finanziell derart ruinierte, dass sie für immer geschlossen werden musste. Seine Hauptaufgabe sah Klemperer in der bewussten Entstellung deutscher Meisterwerke, die teilweise so weit ging, dass ihm selbst seine Rassegenossen nicht mehr folgen konnten […].“ (zit. nach: Ausstellung „Verstummte Stimmen“, Historischer Abriss, Teil 3.)

Bis 1941 war es jüdischen Künstlern noch möglich, sich in einer eigenen, von den Nazis initiierten und kontrollierten Organisation, dem
Jüdischen Kulturbund zu betätigen. Der als „Kulturbund Deutscher Juden 1933“ gegründete Zusammenschluss ermöglichte sogar noch zeitweise Gastspiele bereits emigrierter Künstler, zumindest vor jüdischen Gemeinden. So trat die letzte jüdische Primadonna der Hamburger Oper, Sabine Kalter, im Dezember 1937 ein letztes Mal bei einem Liederabend des jüdischen Kulturbundes in Hamburg auf. Eine letzte Warnung der Gestapo trieb die berühmte Sängerin endgültig ins Exil, wo sie 1957 starb. Ihre Vorgängerin, die weltbekannte Wagner- Interpretin Ottilie Metzger-Lattermann, verfolgten die Nazis bis ins belgische Exil. Sie wurde 1943 in Auschwitz ermordet.

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