Post: Ein Haus und seine Facetten
Der Fotograf Günter Krawutschke und
die Neue Synagoge in der Mitte Berlins

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Günter Krawutschke

(geboren 1940 in Staßfurt, Sachsen-Anhalt) hat ein enormes Bildkonvolut geschaffen mit dem Blick auf eines der spektakulärsten Bauwerke in der Mitte Berlins: Er fotografierte die Neue Synagoge von 1988 bis 1995 und dokumentierte so auf einzigartige Weise ein Gebäude und dessen teilweisen Wiederaufbau.

Die ersten der vorliegenden Bildmotive zeigen das Gebäude als Ruine, die 1938 während der Novemberpogrome in Brand gesetzte und im Laufe des Zweiten Weltkrieges fast vollständig durch Fliegerbomben zerstörte Neuen Synagoge. Am Ende des Konvolutes offerieren die Filmstreifen die feierliche Einweihung der musealen Räume und der Dauerausstellung „Tuet auf die Pforten“, die den einstmals prachtvollen synagogalen Bau von 1866 unter der wiederhergestellten goldenen Kuppel präsentieren. Doch das Hauptschiff, der eigentliche Synagogenraum mit seinen 3.200 Plätzen für Frauen und Männer, weist bis heute eine Leerstelle auf, die nur selten, wie am 7. Mai 1995, von vielen Menschen erfüllt wird.

Mit seinem fotografischen Blick erfasste Günter Krawutschke beinah jedes Detail des Gebäudeensembles – vor Beginn der Arbeiten zum Wiederaufbau der Neuen Synagoge 1988 bis zur Einweihung und Eröffnung der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum im Mai 1995. Es sind Aufnahmen des Verfalls mit Bewuchs – aus der ehemaligen Kuppel oder der Frauenempore, dem historischen Treppenhaus oder dem versteckten Laubengang.

Die Motive ziehen den Betrachter in Bann, nehmen ihn auf einen Rundgang mit durch eine andere Zeit, mal in s/w oder koloriert, mal aus der Vogelperspektive. Ein anderes Mal, unter eine Kellerdecke voller Schutt, spürt seine Kamera dem verlorenen Charme dieses einst architektonisch so einmaligen Baus in der Mitte Berlins nach.

Günter Krawutschke überließ dieses Bildkonvolut zur Neuen Synagoge 2018 als Schenkung der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum; alle Nutzungsrechte wurden vollständig auf die Stiftung übertragen.

Das fotografische Werk von Günter Krawutschke wurde seit 1982, neben einer Vielzahl journalistischer Veröffentlichungen, vielfach in Ausstellungen sowie Bildbänden in der Öffentlichkeit gewürdigt. Er widmete sich neben Industrieporträts von Arbeitern in der DDR vor allem der Architektur im Zentrum Berlins – der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße, der Spandauer Vorstadt sowie der Entwicklung der Friedrichstraße seit 1990.

Diesen Teil seines fotografischen Œuvres, „Die Gesichter der Arbeit“, wie es im Ausstellungstitel im Deutschen Technik Museum 2019/20 hieß, eben jene Motive aufgenommen in Ostberliner Industriebetrieben von 1971-1986, hat der Fotograf 2018 dem genannten Museum übereignet. Es war Günter Krawutschke ein großes Anliegen, „… seine Zeitdokumente der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“ . „Seiner Meinung nach gehört es zur Verantwortung […] der Aufarbeitung der Vergangenheit.“ Obwohl es sicher nicht einfach ist für einen Fotografen einen Vorlass an Museen mit allen Rechten zu übergeben, hofft Günter Krawutschke, wie er in einem Interview mit der Journalistin Frau Maria Petry 2021 sagte, dass seine Bilddokumente im Gedächtnis bleiben und damit verbunden die Erinnerungen und Geschichten.

Die Fotografien der Neuen Synagoge sind eine umfassende und facettenreiche Dokumentation. Es entstand ein Bildwerk, welches sich mit keinem anderen der Zeit vergleichen lässt. Es ist ein imposantes Dokument Berliner Geschichte, das aus architektur-, kultur- und kunsthistorischen Gesichtspunkten für die Öffentlichkeit von Interesse ist. So werden diese Bildmaterialien u.a. auch für Wissenschaft, Forschung und Bildung verwendet. Neben Detailaufnahmen von Friesornamenten und Wandmalereien im Zustand vor und nach der Restaurierung sind überlieferte Artefakte der Synagoge abgebildet. Szenische Bilder zeigen die Restauratoren und Arbeiter während der Wiederaufbauarbeiten. Gleichzeitig erhält man einen detaillierten Einblick in den Aufbau des Gebäudes. Veranstaltungen, wie die Einweihungszeremonie mit Persönlichkeiten der Jüdischen Gemeinde sowie der nationalen als auch internationalen Politik sind ebenso festgehalten.

Dieser, auch für die Stiftung einmalige Bildbestand, konnte bisher mit einfachen Mitteln gesichert, jedoch noch nicht in seinen Einzelteilen verzeichnet und nach archivarischen Gesichtspunkten gelagert werden. Es sind mehrere tausend Objekte, die nun in einem Gesamtdigitalisierungsprojekt aufgenommen und erfasst werden sollen. Der Bestand des Fotografen Günter Krawutschke umfasst unterschiedliche Negativ-Formate, vorwiegend Kleinbild und 6×6 Mittelformat, schwarz-weiß und Farbaufnahmen.

In seiner Gesamtheit hat das vom Fotografen übergebene Filmmaterial einen ihm eigenen persönlichen und sehr geordneten Charakter, der unter anderem in dem Datierungs- bzw. Ordnungssystem sichtbar wird. Dadurch ist der unschätzbare Wert der Sammlung abzulesen.

So sind ein Teil der Filme, die Günter Krawutschke der Stiftung überlassenen hat, in Filmtaschen aus Pappe abgelegt worden. Die Filme wurden jeweils, wie in dieser Zeit üblich, in Streifen geschnitten und in Pergaminhüllen einzeln geschoben, so dass daher das Negativmaterial in hohem Maße geschützt war. Die Außenhülle aus Pappe wurde vom Fotografen nach seinem eigenen System beschriftet, z.B. 01-04-06-89.

Diese Datierung gibt in der Reihenfolge Film-Monat-Tag-Jahr Aufschluss. Manche der Außenhüllen wurden mit KRAWUTSCHKE gestempelt, andere noch zusätzlich mit REPORTAGE-NR. versehen.

Weiteres von Günter Krawutschke übergebenes Filmmaterial wurde ebenso in Filmstreifen geschnitten und in Pergaminhüllen nach heutigen Standards geschoben. Zu diesen Filmen fertigte der Fotograf zusätzlich Kontaktbögen an, auf denen sich zum Teil Hinweise finden lassen zur Auswahl eines bestimmten Bildmotives oder Bildausschnittes. Diese Filme ordnete er nach Jahren und heftete sie in Leitzordnern ab.

Für das erforderliche und jetzt beginnende – von der Ursula Lachnit-Fixson Stiftung finanzierte – Digitalisierungsprojekt, d.h. die Sicherung des Bestandes als Ganzes in seinen Details, soll vor der Digitalisierung jeder einzelne Negativstreifen aus der jeweiligen Hülle entnommen, begutachtet und gereinigt werden. In einem weiteren Schritt muss überlegt werden, wie die Gesamtstruktur des Bestandes beibehalten bleibt, ohne die jeweiligen Filmstreifen wieder in die alten, aus konservatorischer Sicht nicht mehr verwendbaren Filmhüllen, zurückzuordnen.

Dem Anliegen von Günter Krawutschke, durch seine Bilddokumente die Erinnerungen und Geschichten im Gedächtnis zu bewahren und wissenschaftlich zu erforschen, in dieser Verantwortung sieht sich die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum und will daher mit diesem Digitalisierungsprojekt das Bildmaterial für die Zukunft nicht nur sichern, sondern darüber hinaus möglichst sichtbar machen.

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