Eröffnung der Neuen Synagoge als Centrum Judaicum
Ansprache von Dr. Hermann Simon,
Direktor der Stiftung “Neue Synagoge Berlin-Centrum Judaicum”,
7. Mai 1995 / 19.30 Uhr

Im Namen der Stiftung “Neue Synagoge Berlin-Centrum Judaicum”, im Namen derer also, die dieses Haus, dieses Drittel der schönsten und größten Synagoge meiner Heimatstadt Berlin wiedererrichtet haben, begrüße ich sie alle sehr herzlich. Mein Gruß gilt den neuen wie den alten Gemeindemitgliedern gleichermaßen.
Wir sind überwältigt und glücklich, daß hier und heute mehr Menschen versammelt sind als in der Neuen Synagoge jemals Platz gefunden haben. Hier befand sich einstmals der Hauptraum dieser Synagoge; hierher kamen tausende Berliner Juden, um gemeinsam zu Gott zu beten, aber auch um zu sehen und gesehen zu werden, unter ihnen auch meine Großmutter, die wenige Meter von hier im Sammellager Große Hamburger Straße umgekommen ist. Wir sind an der gleichen Stelle und doch nicht an derselben! Dies müssen wir uns immer wieder vor Augen halten. Wir dürfen bei der Freude über das Geschaffene niemals die tragische Vergangenheit dieser Synagoge vergessen.

Wie dicht Tragik und Freude beieinander liegen, wird an der Lebensgeschichte eines Mannes deutlich, der heute unter uns ist. Heute vor 52 Jahren, auf den Tag und die Stunde genau, wurde Harry Siegfried Rosenthal, der heute Henry Rowe heißt, der Sohn des Hausmeisters der Neuen Synagoge, aus diesem Gebäude deportiert. Er hat die Schrecken von Theresienstadt und Auschwitz-Birkenau überlebt. Ich danke Ihnen, lieber Herr Rowe und Ihrer Frau, daß Sie meiner Einladung gefolgt sind.

Am 5. September des Jahres 1866 wurde die schönste und größte Synagoge Berlins nach etwas mehr als siebenjähriger Bauzeit eingeweiht. Eine Kleinigkeit, die damals nicht funktioniert hat, konnten wir heute korrigieren: Sie hörten eben Schwanzers Präludium, das dieser Organist für jenen Anlaß komponiert hatte, von dem aber wegen eines Regiefehlers nur wenige Takte gespielt wurden, wie es die jüdische Presse kleingedruckt vermeldete.

Einladungskarte 7.5.1995

Jüdische und nichtjüdische Zeitungen berichteten gleichermaßen ausführlich und enthusiastisch von der Eröffnung der großen neuen Synagoge in der Oranienburger Straße. Die stolz und majestätisch in den Himmel ragenden Kuppeln bestimmten über 70 Jahre die Silhouette der Berliner Innenstadt.
Die Synagoge gehörte wie die großen Gotteshäuser der anderen Konfessionen zum Stadtbild.
Nicht einmal ein Jahrhundert, nur etwa ein Menschenalter, konnten sich die Berliner Juden frei von Bedrohung in diesem Hause versammeln.

Im November 1938 von den Nationalsozialisten geschändet und in Brand gesteckt, wurde die entweihte Synagoge im November 1943 von Bomben schwer beschädigt; im Sommer 1958 wurde der einstige Synagogenraum abgerissen, und erst 1988 konnte mit dem Wiederaufbau des vorderen Teils begonnen werden. Bereits damals wußten wir, daß es kein besseres Datum für unsere heutige Zeremonie geben könne als den Vorabend des 8. Mai. Denn für wen ist dieser Tag mehr ein Tag der Freude als für uns. Gäbe es diesen Tag der Befreiung nicht, würde ich nicht existieren, hätten meine Eltern jenes “Tausendjährige Reich” nicht überlebt.

Fast sieben Jahre sind seit dem Sommer 1988 vergangen, sieben Jahre meines eigenen Lebens und glauben Sie mir: Es ist für den Historiker Hermann Simon ein überwältigendes Gefühl zu wissen, für die Wiedererrichtung dieses Hauses, bei dem die Narben der Geschichte durch die optische Konfrontation des Gewesen mit dem Seienden für immer sichtbar sind, Verantwortung getragen zu haben.

In der gestrigen, in allen Synagogen dieser Erde gelesenen Haftara, dem Abschnitt aus den prophetischen Büchern, der Bezug auf den Tora-Abschnitt hat,
heißt es in deutscher Übersetzung:

“An jenem Tag
erstelle ich Dawids zerfallene Hütte wieder,
ich verzäune ihre Risse,
ihre Trümmer stelle ich wieder her,
ich baue sie wie in den Tagen der Vorzeit…”

Als ich diese Worte hebräisch als Barmizwa-Knabe am 28. April 1962 in der Ostberliner Synagoge Rykestraße vortrug,
ahnte ich nicht, daß sie für mich mehr als dreißig Jahre später so bedeutungsvoll sein werden.

Es ist dies auch die Stunde zu danken. Alle kann und will ich nicht nennen. Mögen Architekt Bernhard Leisering und Bauleiter Michael Stade als pars pro toto stehen. Ich danke ferner allen meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Spendern. Wir brauchen auch in Zukunft Ihre Hilfe. den vielen

Meine Damen und Herren!

Bereits als hier am 17. Juli des Jahres 1861 das Richtfest begangen wurde, äußerte der damalige Festredner es war der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, Kommerzienrat Carl Heymann – den Wunsch, daß dieses Haus modern in Form und Inhalt sein möge. Diese Worte sind heute so aktuell wie an jenem Tage; ebenso wie die Aufforderung, “das Haus zum Ruhme Gottes und zur Zierde der Stadt” zu vollenden.

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