am Beispiel vom Kaufhaus Jonass
Von Nele Heimann,
Studierende der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
Um die Geschichte der Konfektionshäuser in Berlin erzählen zu können, müssen wir bei den Anfängen beginnen, rund um die Altkleiderhändler:innen und Nähstuben, die sich im Scheunenviertel ansiedelten. Schon seit dem 18. Jahrhundert handelten Jüdinnen und Juden mit gebrauchten Stoffen und Altkleidern. Sie wanderten im Laufe der Zeit aus Posen ein und erhofften sich bessere Arbeitschancen in Berlin. Viele von ihnen waren gelernte Schneider:innen und ließen sich mit ihren Schneiderwerkstätten in Berlin nieder. Diese fungierten mit der Zeit ebenso als Zwischenhandelsgeschäfte: Sie produzierten viel und verkauften ihre Ware an den Großhandel weiter. Die neuen Werkstätten konnten auf die bereits bestehende Infrastruktur von Berliner Geschäften zurückgreifen und wurden so schnell zur Konkurrenz der anderen Stoffhändler:innen. Dadurch verbreitete sich neben dem bestehenden Antisemitismus explizit eine abwertende Haltung gegenüber den aus Posen stammenden Näher:innen, Händler:innen und Schneider:innen.
Im Laufe des infrastrukturellen Ausbaus der Textilwirtschaft entwickelte sich das Scheunenviertel in der Spandauer Vorstadt zu einem wichtigen Ort für die neuen Konfektionshäuser. Grund hierfür war die relative Nähe zum Konfektionsviertel, das sich am Hausvogteiplatz befand. In diesen Konfektionshäusern gab es eine klare Arbeitsteilung zwischen Verkauf und Herstellung. Während die Konfektionshäuser Aufträge vergaben, wurden die Kleidungsstücke außerhalb des Konfektions-betriebs produziert. Dies hatte zur Folge, dass neue Konfektionshäuser kein immenses Startkapital brauchten. Es waren die Kontakte zu Schneider:innen und Zwischenhändler:innen, die von Bedeutung waren, um die Kreationen umzusetzen.
Während die Immobilien in erster Linie in der Hand von Männern lagen, wurde das Handwerk rund ums Schneidern und Nähen vor allem von Frauen ausgeübt. Das Konfektionshaus war auch für die Modeszene besonders spannend. Denn hier entstand die neue Chance, verschiedene Stücke nach Konfektionsgrößen in einer Großzahl anzufertigen. Dadurch wurde die Massenproduktion von Kleidung möglich. Jüdinnen und Juden prägten als Näher:innen, Zwischenhändler:innen, aber auch Besitzer:innen von kleinen Läden und großen Kaufhäusern die Berliner Textilbranche. Im Jahr 1929 gehörte etwa die Hälfte der Berliner Konfektionshäuser jüdischen Inhaber:innen. Dies bot der NSDAP später eine enorme Angriffsfläche.
Zu den großen ehemaligen Konfektionshäusern gehörten das Kaufhaus Nathan Israel, das Kaufhaus Jandorf, das Kaufhaus Wertheim und das Kaufhaus Jonass. Das Kaufhaus Jonass befand sich in nächster Nähe zum Scheunenviertel, in der heutigen Torstraße 1. Heute kennt man den Bau als Soho-House, einem exklusiven Members-Club und Hotel. Im Jahr 1889 gründete Hermann Golluber gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Hugo Halle die Jonass & Co. GmbH, eine umfangreiche Versandhandlung für Uhren. 1928 wurde die Jonass & Co. GmbH zum Kreditkaufhaus Jonass umstrukturiert. Das Unternehmen befand sich in einem von den Architekten Gustav Bauer und Siegfried Friedländer gestalteten Skelettbau an der damaligen Ecke Prenzlauer Allee/Lothringer Straße.
Textilien, Haushaltswaren und andere Bedarfsartikel konnten nun erstmals auf Kredit und in Raten erworben werden, was zu einem großen Ansturm auf das Kaufhaus führte. Nachdem ein Viertel des Warenwerts bezahlt wurde, konnte der Rest in vier Monatsraten abbezahlt werden. Diese Innovation brachte mehr Menschen zum Kauf von Gütern, die sie sich sonst nicht geleistet hätten. Zusätzlich kurbelte es die Textilwirtschaft an.
Mit Hitlers Machtübernahme im Jahr 1933 begann eine systematische Vertreibung der jüdischen Unternehmer:innen und Arbeiter:innen in der Textilbranche. Mit der voranschreitenden Enteignung wurden Jüdinnen und Juden gezielt aus ihren Ämtern und Professionen vertrieben. Am 12. November 1938 wurde die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ erlassen. Somit wurde ihnen der Betrieb von Einzelhandelsverkaufsstellen sowie die selbständige Führung eines Handwerksbetriebs mit Wirkung zum Jahresende 1938 untersagt.
So sahen sich auch die beiden jüdischen Teilhaber des Kaufhauses Jonass gezwungen, zwei nichtjüdische Angestellte in die Geschäftsführung aufzunehmen, um die Enteignung zu vermeiden. Doch trotz dieser Maßnahme wurden Golluber und Halle aus dem Geschäft verdrängt. Golluber konnte 1939 in die USA fliehen, wo er bald darauf verstarb.
Infolge antijüdischer Maßnahmen und dem Ausschluss von Jüdinnen und Juden aus der Industrie entwickelte sich der Wirtschaftszweig der Textilien und Konfektionen immens zurück. Der Handelszweig ins Ausland brach zunehmend ab, da die Qualität durch die fehlenden Schneider:innen und Näher:innen nicht mehr gewährleistet werden konnte.
Die Nationalsozialist:innen versuchten, die fehlenden Rohstoffe der Zwischenhändler:innen durch synthetisch produzierte Stoffe zu ersetzen.
Die neuen Eigentümer schlossen das Kaufhaus Jonass an der Lothringer Straße und vermieteten es an die NSDAP, die es als Zentrale der Hitlerjugend nutzte. Nach Kriegsende wurde der Bau erneut umfunktioniert. Hier entstand der neue Sitz des Zentralkomitees der SED. Nach dem Mauerfall stand das Gebäude lange Zeit leer. Im Jahr 1996 wurde der Bau wieder an die jüdische Erbengemeinschaft überschrieben und erst im Jahr 2004 neu vermietet.
Die Konfektionshäuser hatten einen großen Einfluss auf die Berliner Mode und Kulturszene und konnten sich europaweit etablieren. So wurden für die deutschen Kollektionen Geschäftsreisen nach Paris unternommen, um sich von der dort ansässigen Modeindustrie inspirieren zu lassen. Die Exportversuche waren mehr oder minder erfolgreich, stärkten aber die internationalen Beziehungen.
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