Kunst in Auschwitz 1940-1945
Sztuka w Auschwitz 1940–1945
kuratiert von Jürgen Kaumkötter, Chana Schütz, Swantje Schollmeyer
Kunst in Auschwitz
Das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau in Oświęcim besitzt eine weitgehend unbekannte, umfangreiche Sammlung bildender Kunst. Hierzu zählen 1470 Kunstwerke, die in der Zeit von 1940 bis 1945 im Konzentrationslager Auschwitz entstanden sind. Dieser Teil der heutigen Sammlung umfasst Stillleben, Landschaften, Karikaturen, Genreszenen und vor allem Porträts. Der 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz ist uns Anlass, 140 Kunstwerke aus der Lagerzeit in einer Ausstellung zu präsentieren.
Krystyna Oleksy, stellvertretende Direktorin des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau in Oświęcim: »Der 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau ist ein Anlaß zur Reflexion über ein wichtiges und schwieriges Thema: was war und was ist dieser Ort und welche Rolle sollte er in heutigen Zeiten spielen? Diese Fragen beantwortet die Ausstellung, die vom Museumspädagogischen Dienst, der Stiftung Neue Synagoge – Centrum Judaicum und dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau in Oświęcim vorbereitet wurde – diese Institutionen verbindet nicht nur die Zusammenarbeit, sondern auch die gemeinsame Geschichte und das gemeinsame Ziel.
Die Ausstellung »Kunst in Auschwitz« ist eine Präsentation von 150 originalen Bildern und Zeichnungen, die aus den Sammlungen des Museums in Oświęcim stammen und von Häftlingen in KL Auschwitz ausgeführt wurden. In der Form der künstlerischen Retrospektive huldigt die Ausstellung denen, die im Lager umgekommen sind, und auch denen, die überlebt haben und in Kunstwerken das Bild der bitteren Erfahrungen, der vergangenen Geschichte, zur Warnung der neuen Generationen verewigten. Ich bin überzeugt, dass diese Ausstellung, eines der wichtigsten Ereignisse des 60. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau sein wird, und der Moment der Nachdenklichkeit, der diese Ausstellung begleiten wird, richtet die Aufmerksamkeit auf die Fragen nach der heutigen Welt.«
Das psychische und physische Leiden der Menschen wird besonders in den Porträts – der Hauptsequenz der Ausstellung – deutlich, ohne Terror und Gewalt direkt zu zeigen. In den Kunstwerken sind die Menschen »anwesend«: Diese Unmittelbarkeit hebt die Distanz zwischen Künstler und Dargestelltem auf. Die Bilder waren für die Künstler und für die Dargestellten elementare Lebens- und Existenzbeweise.
Der Künstler Franciszek Jazwiecki berichtete 1946: »Um eine Weile Glück zu erringen, vor allem um zu vergessen, zeichnete ich mit Bleistift weiter in den Lagern Porträts. Diese im Verborgenen gemachten Porträts ließen mich vergessen, führten mich in eine andere Welt, in meine Welt der Kunst. Dass Zeichnen mit dem Tod bestraft wurde, nahm ich einfach nicht zur Kenntnis, nicht weil ich mutig war, sondern weil ich die Gefahr nicht beachtete, so anziehend war es, in der eigenen Welt zu schaffen.«
Die Spannung zwischen Kunst und Lageralltag, die Personalisierung des Grauens bieten eine neue Form der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Völkermords und Auschwitz. Die Objekte sind nicht nur authentische Dokument eines grausamen Zeitabschnitts menschlicher Verrohung, sondern auch autonome Kunstwerke von eigener faszinierender Schönheit. Die Ausstellung würdigt die Bilder aus Auschwitz als Kunstwerke. Dieser neue Ansatz erforderte eine intensive mehrjährige Forschungsarbeit besonders in Polen. In dem zweisprachigen Begleitband der Ausstellung (deutsch / polnisch) wird diese Position vertieft.
Jürgen Kaumkötter
Das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau
Jürgen Kaumkötter, Chana Schütz
Die Entstehungsbedingungen der Kunst
Jürgen Kaumkötter, Chana Schütz
Gesichter
Das vorherrschende Thema aller in Auschwitz entstandenen Kunstwerke ist das Porträt. Es sollte Lebensbeweis in der Lagerrealität und Erinnerung für die Nachwelt sein. Die Porträtdarstellungen sind zumeist in der Enge der Lagersituation entstanden. In den Porträts sind die Menschen anwesend: Sie werden als Subjekte dargestellt und ihre existenzielle Bedrohtheit im Bild gebannt. Diese Unmittelbarkeit hebt die übliche Distanz zwischen Produzent, Rezipient und Modell auf und der im Lager immer gegenwärtige Tod ist für den Dargestellten und für den Betrachter ein Teil des Bildes. Die Bilder sind elementarer Lebens- und Existenzbeweis.
Das Lagermuseum
Das Konzentrationslager Auschwitz wurde 1940 von der SS vor den Toren der Stadt Oświęcim errichtet. In den darauf folgenden Jahren wurde das Lager ausgebaut und bestand schließlich aus drei Teilen: dem Stammlager Auschwitz I, Auschwitz II-Birkenau, Auschwitz III-Monowitz sowie aus 40 Nebenlagern. Anfangs litten und starben Polen im Lager. Später kamen sowjetische Kriegsgefangene, Sinti und Roma und Häftlinge aus anderen Ländern hinzu. Ab 1942 wurde Auschwitz zum Ort der Ermordung der europäischen Juden, dem größten Massenmord in der Geschichte der Menschheit. Die Mehrheit der nach Auschwitz deportierten Juden – Männer, Frauen und Kinder, kamen unmittelbar nach deren Ankunft in den Gaskammern Birkenaus um.
Gegen Ende des Krieges begann die SS mit der Demontage und der Zerstörung der Gaskammern, der Krematorien sowie mit dem Verbrennen von Dokumenten, um die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen. Die marschfähigen Häftlinge wurden ins Innere des Deutschen Reiches deportiert. Diejenigen, die im Lager geblieben waren, wurden am 27. Januar 1945 von Soldaten der Roten Armee befreit. Am 2. Juli 1947 wurde durch ein Gesetz des Sejm, des polnischen Parlaments, auf den zwei erhalten gebliebenen Teilen des ehemaligen Konzentrationslagers, Auschwitz I und Auschwitz II-Birkenau, das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau in Oświęcim errichtet. Im Jahre 1979 nahm die UNESCO diesen Ort in ihre Liste mit den Objekten des Weltkulturerbes auf.
Künstler*innen und Porträtierte
Peter Edel (K), Mieczysław Kościelniak (K), Francisek Targosz (K), Władysław Siwek (K), Kurt Preipler (K), Włodzimierz Siwierski (K), Waldemar Nowakowski (K), Mali und Edek (P), Wincenty Gawron (K), Karl Fritzsch (P), Ludwig Plagge (P), Otto Küsel (P), Erik Grönke (P), Jan (Baraś) Komski (K), Adam Bowbelski (K), Irena Zdrenka (P), Adam Kopyciński (P), Dr. Jan Grabcyński (P), Bronisław Czech (K), Dominik Černy (K), Antoni Suchanek (K), Czesław Lenczowski (K), Tadeusz Myszkowski (K), Erwin Olszówka (P), Czesław Kaczmarzyk (K), Vladimir Zlamall (K), Augustyn Baraniok (P), Jadwiga Baraniok (P), Hans Holzmüller (K), Honorata Moroń (P), Jadwiga Saduś (P), Jiři(Georg) Jilovsky (K), Jan Waldera (P), Alfred Skrabania (P), Kazimierz Jarzębowski (P), Roman Nawrot (P), Luiza Targoszowa, Rudolf Danel (K), Gertruda Kocur (P), Jan Markiel (K), Krystyna Madej (P), Helena Wierzbicka (P), Zofia Stępień-Bator (K), Maria Ślisz (P), Jan Machnowski (K), Józef Ryncarz (P), Xawery Dunikowski (K), Marian Ruzamski (P), Ernest Durkalec (P), Jan Markiel (K), Stefan Wesołek (P), Stanislaw Chybiński (P), Wasyl Iwanow (K), Tadeusz Wróblewski (P), Paweł Brożek (P), Jean Paul Claude (K), Wiesław Kalwoda (P), Józef Mrozek (K), Wacław Trąbka (P), Bernard Świerczyna (P), Nathan, Rafał Koci, Szczepan Andrzejewski (K), Maksymilian Piłat (P), Mieczysław Kieta (P), Edward Biernacki (P), Leon Mateja (P), Władysław Joniec (P), Erwin Olszówka (P), David Friedmann, Jerzy Stanisław Severa (P), Stanisław Gutkiewicz (K), Tomasz Serafiński (P), Jindrich Fleissig (P), Oldrich Uhlyarik (P), Oldrich Kocian (P), Wacław Janda (P), Leopold Brodziński (P), Franciszek Jaźwiecki (K), Pedro Ros (P), Danilo Pizzignacco (P), Paweł Falk (P), Iwan Adriansen (P), Eduard Langendam (P)
David Friedmann
„Weil sie Juden waren“
Nur mit viel Glück und durch sein zeichnerisches Talent überlebte der Künstler und Pressezeichner David Friedmann die Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Der gebürtige Tscheche arbeitete ab 1911 in Berlin. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit fertigte Friedmann von 1924 bis 1933 Porträtzeichnungen bekannter Zeitgenossen wie etwa Lovis Corinth, Albert Einstein und Max Schmeling für Berliner Zeitungen an. Bei der Frühjahrsausstellung der Berliner Secession im Jahre 1925 war er mit Gemälden vertreten.
David Friedmann wurde am 20. Dezember 1893 in Mährisch-Ostrau (heute Ostrava/ Tschechien) geboren. Nach einer Lehre als Schildermaler ging Friedmann im Alter von 17 Jahren nach Berlin. In seinen Aufzeichnungen nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert er sich an seine Zeit als Schüler von Hermann Struck und Lovis Corinth, bei denen er Radierung, Lithographie und Malerei studierte. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit fertigte Friedmann von 1924 bis 1933 Porträtzeichnungen bekannter Zeitgenossen für Berliner Zeitungen an. 1919/1920 erschienen im „Illustrierten jüdischen Witzblatt – Schlemiel“ zwei seiner Lithographien. Im Jahre 1923 entstand in Mährisch-Ostrau die Serie „Das Schachmeisterturnier“, in der Friedmann die damaligen Schachgroßmeister porträtierte. Bei der „Juryfreien Kunstschau“ und der Frühjahrsausstellung der Berliner Secession im Jahre 1925 war er mit Gemälden vertreten.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 war es Juden untersagt, frei künstlerisch tätig zu sein. Friedmann eröffnete daraufhin einen Stubenmalereibetrieb. Nach dem Novemberpogrom 1938 flüchtete Friedmann mit seiner Frau Mathilde und seiner erst wenige Monate alten Tochter Mirjam Helene nach Prag. Er mußte einen Großteil seiner Werke in Berlin zurücklassen.
Im Oktober 1941 wurde Friedmann mit seiner Familie in das Ghetto Łodź deportiert. In einer von der Ghetto-Verwaltung errichteten Metallwarenfabrik entwarf er Kleinschmuck und kunsthandwerkliche Gebrauchsgegenstände.
Mit Porträtzeichnungen, die er für die Angehörigen der Ghettoleitung anfertigte, verdiente er den Lebensunterhalt der Familie. Ende August 1944 räumten SS-Truppen das Ghetto Łodź. David Friedmann wurde von seiner Familie getrennt und nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Seine Frau und seine Tochter wurden ermordet.
David Friedmann wurde nach Gleiwitz I gebracht, einem Außenlager des Konzentrationslagers Auschwitz, wo er als Maler für das SS-Personal tätig war. David Friedmann überlebte den Todesmarsch zum Außenlager Blechhammer in Oberschlesien, das schließlich am 25. Januar 1945 von der Roten Armee befreit wurde. Friedmann begab sich in den folgenden Monaten nach Krakau, Mährisch-Ostrau und Prag in der Hoffnung, überlebende Familienangehörige anzutreffen. Seine Suche blieb erfolglos.
In Prag lernte David Friedmann seine zukünftige Frau Hildegard kennen, die ebenfalls eine Überlebende der Schoa war. Die beiden flüchteten im Jahre 1949 vor den antisemitischen Übergriffen in der Tschechoslowakei nach Israel. 1954 wanderte Friedmann mit seiner Ehefrau und seiner 1950 geborenen Tochter Miriam in die USA aus. Er nahm eine Stelle als Grafiker bei einer Werbeagentur an und arbeitete bis 1962 in den Niederlassungen New York, Chicago und St. Louis. Im Jahre 1960 wurde er amerikanischer Staatsbürger und amerikanisierte seinen Nachnamen zu „Friedman“. David Friedman verstarb 1980 in St. Louis.
In der Serie „Because They Were Jews“ („Weil sie Juden waren“) illustriert David Friedman auf bedrückende Weise seine Erinnerungen an die Zeit im Ghetto und im Konzentrationslager. 19 Werke aus dieser Serie sind heute Teil der Sammlung des Holocaust Memorial Museums in Washington D.C./ USA. Sieben Zeichnungen, die Friedmann unmittelbar nach seiner Befreiung im Jahre 1945 anfertigte, befinden sich in den Beständen von Yad Vashem in Jerusalem/Israel. Eine 1942 entstandene Radierung der Brücke in Łodź befindet sich im Staatsarchiv von Łodź. Der größte Teil von David Friedmans künstlerischem Erbe wird von seiner Tochter Miriam in Ehren gehalten.
In der Ausstellung „Kunst in Auschwitz 1940-1945“, ist David Friedmann mit einem Porträt des Häftlings Jerzy Stanislaw Severa vertreten.
Weiterführende Informationen
- Pressemitteilung
- Begleitveranstaltungen
- Begleitpublikation
- Vernissage
In Kooperation mit
Gefördert durch
Ausstellungsimpressum
Die Ausstellung »Kunst in Auschwitz 1940 – 1945« entstand in einer Kooperation zwischen der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum und dem MD Berlin. Ohne die großzügige Unterstützung – das Öffnen aller Archive und den fachlichen Rat – des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau in Oświęcim wäre die Realisierung des Projekts nicht möglich gewesen.
Idee, Konzeption und Realisation
Jürgen Kaumkötter
Ausstellungskonzeption /Gesamtleitung
Chana Schütz, Centrum Judaicum
Swantje Schollmeyer
Mitarbeit
Lea Weik
Nadine Wintersieg
Ausstellungsgestaltung
Gesamtleitung: Georg von Wilcken, MD Berlin
mesh design
Michael Schüttrumpf
Technische Koordination Centrum Judaicum
Nicole Klause
Technik Centrum Judaicum
Karl Vollprecht
Bauten
Jirí Votruba
Übersetzung
Irena Dylawerska
Justina Loos
Jolanta Noetzel
Natasza Stelmasyk
Transport
art logistic / Hasenkamp
Ausstellung und Rahmenprogramm werden gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes, die Kulturstiftung der Länder, die Bundeszentrale für politische Bildung, das Auswärtige Amt und die Gesellschaft für ein Jüdisches Museum Berlin.