Postkarte Altkleiderhändler

Jüdischer Altkleiderhandel im

Scheunenviertel

Von Justine Wiedemann, Studierende der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)

„Gewiss stümperte sich mein Vater als Hausierer durch. Auch das war ein Broterwerb, ich möchte sagen ein ‚regelrechter Beruf‘. Man fuhr in den Berliner Westen, der schon damals die ‚feine Gegend‘ war, ging von Haus zu Haus, von Tür zu Tür und fragte nach abgetragenen Anzügen. Häufig waren die Wohnungsinhaber, besonders kleine und mittlere Beamte, ganz zufrieden, auf diese Weise ihre nicht mehr ‚standesgemäße‘ Garderobe für einen kleinen Obolus loszuwerden. Manchmal jagten sie jedoch ‚das Judenpack‘ mit groben Schimpfworten weg. Nun, das musste man in Kauf nehmen. Den Menschen, die aus dem Ghetto kamen, war das nicht neu. Die Anzüge wurden dann in einem kleinen Laden in der Hirtenstraße (nahe der Grenadierstraße), der ‚Kleiderbörse‘, verhökert an Juden, die wiederum einen kleinen Laden hatten.“

Gittel Weiß liefert hier Hinweise für einen regen Handel mit Altkleidern im Scheunenviertel. Bevor diese Spuren näher betrachtet werden, zeigt der Text die lang zurückreichende Tradition des jüdischen Altkleiderhandels im Raum Berlin auf. Der jüdischen Textilwirtschaft in Berlin gelang es eine international renommierte Position einzunehmen. Zuvor sah sie sich jedoch mit andauernden antisemitischen Anfeindungen und Rückschlägen konfrontiert.

 

Im Jahr 1288 gründete sich die erste Berliner Schneidergilde und markierte somit den Beginn der Kleiderproduktion sowie des -handels innerhalb einer Zunft. Das hatte zur Folge, dass diese Tätigkeit ausschließlich von Mitgliedern der Vereinigung ausgeübt werden durfte. Jedoch war es Jüdinnen und Juden aufgrund von antisemitischen Gesetzgebungen verboten, einer Zunft beizutreten. Sie durften Textilien und Schuhe für ihre eigene Gemeinde herstellen. Auf dem offenen Markt war es ihnen jedoch nur gestattet, mit Altkleidern zu handeln und neue Ware zu reparieren sowie zu ändern. Somit arbeitete der Großteil der im Textilgewerbe tätigen Jüdinnen und Juden als Lumpensammler:innen und Hausierer:innen. Im Zuge der Aufklärung wurde 1812 das Emanzipationsedikt verabschiedet. Danach war es jüdischen Personen gestattet, Gewerbe in Brandenburg, Schlesien, Pommern und Ostpreußen auszuüben. Der Wegfall der antisemitischen Einschränkungen, der sozioökonomische Wandel und die Erfahrungen im Textilhandel schufen die Grundlage für ein Erstarken der jüdischen Unternehmen in der aufstrebenden Konfektionsindustrie.

Welche Spuren des Altkleiderhandels lassen sich im historischen Scheunenviertel finden? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir zunächst einen Blick auf die Migrationsgeschichte werfen. Das Emanzipationsedikt bedingte eine Migrationswelle von Jüdinnen und Juden aus Posen nach Berlin. Eine Vielzahl von ihnen waren Schneider:innen und Händler:innen, die infolge der Verordnung hofften, eigene Schneiderwerkstätten zu eröffnen oder in ansässigen Textilunternehmen zu arbeiten. Zudem flüchteten in Folge der Pogrome in Polen, Litauen und Russland in den Jahren 1905 und 1881 und nach dem Ersten Weltkrieg tausende Personen jüdischen Glaubens nach Berlin und ließen sich im Scheunenviertel nieder.

Der Handel vollzog sich sowohl in Läden als auch in Form von Ständen auf der Straße. Gittel Weiß erwähnt in dem einführenden Zitat die Kleiderbörse in der Hirtenstraße. An diesem Ort kamen Klein- und Großhändler:innen zusammen, um von den Hausierer:innen die Kleidung präsentiert zu bekommen. Diese kauften sie Personen zuhause oder auf der Straße ab. Viele Hausierer:innen lebten in der Hoffnung, die der Zeitzeuge Joseph Roth beschreibt:

Schwarz-weiß Fotografie zeigt belebten Straßenhandel im Scheunenviertel, Grenadierstraße. Unter anderem zu sehen ist ein Brotwagen rechts im Bild, vor dem zwei Personen stehen, mehrere Menschen laufen die Straße runter (mittig) und ein Mann mit dunklem Mantel und schwarzem Hut sowie langem Bart schiebt einen dunklen Kinderwagen (links). Aufnahme von 1933.
Straßenhandel im Scheunenviertel, Grenadierstraße, 1933 (c) Bundesarchiv

„Wer alte Kleider gut zu verkaufen versteht, wird bald neue Kleider verkaufen können. Er wird ein Magazin eröffnen, statt eines Ladens. Er wird einmal Warenhausbesitzer werden. In Berlin kann auch ein Hausierer Karriere machen.“

Die Personen, die schon einen Gewerbeschein und somit einen Laden besaßen, kauften den Hausierer:innen die Ware mit einem kleinen Aufpreis in der Kleiderbörse ab. Die Kleidung wurde von den Einzel- und Großhändler:innen aufbereitet und in ihren Geschäften zum Verkauf angeboten. Die Kleidung, 
die von den Einzel- und Großhändler:innen aufgearbeitet und in ihren Geschäften zum Verkauf angeboten wurde, hingen die Ladenbesitzer:innen vor ihre Läden, sodass diese zusätzlich als Ladenschild fungierten. Die Kleidung aus der Kleiderbörse wurde teilweise in die Heimatländer der Händler:innen verschickt.

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