Moses Mendelssohn: Freunde, Feinde und Familie

kuratiert von Eva-Maria Thimme
unter Mitarbeit von Frauke Mankartz

Moses Mendelssohn

Man nannte ihn den „Philosophen von Deutschland“ und kaum ein auf seine Reputation bedachter Gelehrter versäumte die Gelegenheit, die Bekanntschaft Mendelssohns zu machen oder zumindest mit ihm zu korrespondieren. Die Bewunderung galt dem Universalgelehrten, der wie selbstverständlich als orthodoxer Jude lebte und sich zugleich bemühte die jüdische Tradition auf die Höhe der – aufgeklärten – Zeit zu heben. Doch das Bild der Freunde und Sympathisanten Mendelssohns bliebe unvollständig ohne die Erwähnung seiner entschiedenen Widersacher, die hinsichtlich ihrer Motive und Ziele kaum gegensätzlicher vorstellbar sind.

Die Ausstellung der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum wird an ausgewählten Exponaten die faszinierende Persönlichkeit Moses Mendelssohns sowie das Wirken des jüdischen Aufklärers beleuchten. Dabei stellt sie nicht nur zahlreiche Bewunderer aus Bürgertum und Adel vor, sondern lenkt erstmals den Focus auf die gegensätzlichen Stimmungen seiner jüdischen Kritiker, die ihn als Totengräber des traditionellen Judentums, seiner Identität und Wertvorstellungen verachteten.

Moses Mendelssohn

Zum ersten Mal zeigt die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum einen erhalten gebliebenen Stiftungsring von 1791 mit dem Bildnis Moses Mendelssohns, den sich die sieben Mitglieder der fünf Jahre nach dem Tod Mendelssohns gegründeten ,,Gesellschaft der Freunde” als Zeichen ihrer Verbundenheit anfertigen ließen.

Wertvolle Zeugnisse aus der Jüdischen Gemeinde Berlins, darunter zwei Synagogenleuchter aus der “Alten Synagoge” in der Heidereutergasse aus der Zeit Moses Mendelssohns sowie Bücher und Autographen, Flugblätter und Briefe, Porträts der Protagonisten und Ansichten des sich zur europäischen Großstadt wandelnden Berlin vermögen ein anschauliches Bild von den religiösen und politisch-philosophischen Kontroversen der Zeit zu geben, in deren Zentrum, ganz gegen seine Absicht, Moses Mendelssohn stand.

Ende & Anfang
Befreit im „Haus des Henkers“

Moses Mendelssohn – an ihm schieden und scheiden sich, wie kaum an einer anderen Persönlichkeit der neueren jüdischen Geschichte, die Geister.
Verehrten ihn die einen als Wegbereiter von Emanzipation und bürgerlicher Gleichberechtigung der deutschen Juden sowie deren Teilhabe am kulturellen, intellektuellen und politischen Leben ihres Landes, so verachteten ihn die anderen als Totengräber des traditionellen Judentums, seiner Identität und Wertevorstellungen. Im Rückblick zeigt sich, daß Mendelssohn den schmalen Grat zwischen gesetzestreuem Judentum und säkularer bürgerlicher Existenz beschritt – nicht alle vermochten ihm auf diesem Weg zu folgen.

Moses Mendelssohn
Jüdische Gegner

In der an Verfolgungen und Vernichtungen so reichen jüdischen Geschichte fällt das 17. Jahrhundert als besonders dramatisch-düstere Epoche auf. Nicht allein, dass Juden zwangsläufig in die Wirren des 30jährigen Krieges (1618–1648) einbezogen wurden – vornehmlich in den westlichen Gebieten des Zarenreiches – fiel der Großteil der jüdischen Gemeinden den Pogromen während der Kosakenaufstände zwischen 1648 und 1660 zum Opfer. Und selbst die Gemeinden, die von äußerlichem Drangsal verschont blieben, sahen sich einer jahrzehntelangen Zerreißrobe ausgesetzt: die von Sabbatai Zwi ausgelöste messianische Bewegung fand weltweit begeisterte Anhänger – aber auch erbitterte Gegner. Nach Sabbatai Zwis Übertritt zum Islam und seinem Tod 1676 wachte die Orthodoxie über die strikte Einhaltung der jüdischen Tradition, trat allen mystischen Strömungen entgegen und untersagte jegliche Erneuerung hinsichtlich der religiösen Praxis oder des tagtäglichen Lebens. Trotz der immensen Verluste an Gelehrten und ungeachtet einer tiefgreifenden Zerrüttung der Gemeindestrukturen lag das Zentrum des orthodoxen Rabbinismus vor allem in Polen, von wo aus die westeuropäischen Gemeinden mit Rabbinern »versorgt« wurden. Und gerade aus dem Kernland der polnischen Orthodoxie sollte um die Wende zum 18. Jahrhundert eine neue mystische Bewegung hervorgehen: der Chassidismus, eine von »einfachen« Gläubigen getragene, betont nicht-intellektuelle Frömmigkeit.

Die junge
jüdische Gemeinde zu Berlin

Ein Jahrhundert nach der Vertreibung der Juden aus der Mark Brandenburg und Berlin konnte sich 1671 eine neue jüdische Gemeinde konstituieren: sie bestand aus 50 Familien, die zu den 1670 aus Wien ausgewiesenen Juden gehörten, denen die Niederlassung in Berlin gestattet worden war. Ausschlaggebend war hier das Bestreben des Großen Kurfürsten, Aufbau und Entwicklung seiner immer noch unter den Verwüstungen des 30jährigen Krieges stehenden Residenz durch die Ansiedlung von Zuwanderern zu fördern. Neben calvinistischen Böhmen und Protestanten aus Salzburg bildeten Hugenotten und Juden die wichtigsten Gruppen: die französischen Flüchtlinge waren 1685 ins Land gerufen worden und zählten um 1699 knapp 6000 Personen. Gleich welchem Gewerbe sie nachgingen, waren sie den einheimischen Bürgern im wesentlichen gleichgestellt.
Unter erheblich ungünstigeren Bedingungen stand die Zulassung der jüdischen Vertriebenen: sie mussten einen gewissen Wohlstand nachweisen und sollten »zur Beförderung des Handels und Wandels« in Berlin beitragen. Dabei waren sie vom Zunfthandwerk, dem »ordentlichen Handel« und allen landwirtschaftlichen Tätigkeiten ausgeschlossen, auch hatten sie zahlreiche Sonderabgaben zu leisten. Zudem erhielt in jeder Familie nur ein Kind das Recht, sich in der Stadt niederzulassen. Die Beschränkungen nahmen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts eher zu als ab und waren deutlich antijüdischer Tendenz. Bis 1700 ließen sich 117 jüdische Familien in Berlin nieder, um die Jahrhundertmitte lebten hier etwa 1000 Juden.

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