Zwischen Sowjetstern und Davidstern
Jüdische Veteranen der Roten Armee
im Zweiten Weltkrieg und heute
01.12.2006 – 30.12.2006
Idee: Dr. Hermann Simon
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ZWISCHEN
SOWJETSTERN UND DAVIDSTERN
Knapp 100 jüdische Veteran/Innen der Roten Armee leben heute in Berlin. Sie wuchsen einst in einer Sowjetunion auf, die es nicht mehr gibt. Diese Menschen vermochten es, ihre jüdische Identität trotz aller Diskriminierungen zu bewahren. Als Offiziere oder Soldaten kämpften sie gegen die deutschen Nationalsozialisten und ihre Helfer, die den Zweiten Weltkrieg begannen und in der Schoa Millionen Juden ermordeten. Für wen kämpften sie? Für das eigene Überleben, für das Überleben von Verwandten und Freunden. Musste man, durfte man dabei auch Patriot sein? Schließlich waren der sowjetische Diktator Josef Stalin, die sowjetische Gesellschaft auch im Krieg nicht frei von Antisemitismus. Diese Fragen stellten sich Männern wie auch Frauen, die in der sowjetischen Armee kämpften. Auf den Kampf gegen die deutschen Angreifer folgte die Heimkehr in eine oftmals vom Krieg verwüstete Heimat.
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ZWISCHEN
SOWJETSTERN UND DAVIDSTERN
Wer hatte das Völkermorden, wer die Schoa überlebt? Vorurteile gegenüber Juden und deren Benachteiligung nahmen in der spätstalinistischen Ära erneut zu. Es kamen Jahrzehnte des Lebens in der UdSSR – Ausbildung und Karriere, Heirat und Familiengründung. Mit dem Zerfall der Sowjetunion nahmen wirtschaftliche Probleme, nahmen Formen der Diskriminierung von Juden erneut zu. Viele jüdische Veteran/Innen sahen sich in den neunziger Jahren gezwungen zu emigrieren – manche kamen nach Berlin. Viele standen vor dem Nichts, doch hatten alle ihre Erinnerungen im Gepäck. Und nun? Ein Leben im Land der einstigen Täter, ein Leben in einer oftmals fremden Sprache. Die Erinnerungen bleiben und sollen Zukunft haben. Historiker, ein Dolmetscher und Schüler/Innen aus vier Berliner Schulen konnten 13 jüdische Veteranen über ihr Leben befragen und erhielten Fotos sowie Dokumente. Das Team am Centrum Judaicum machte hieraus eine Ausstellung. Menschen, die auf ein reiches Leben zurückblicken, erhalten eine Stimme. Ein Stück jüdischer, sowjetischer, deutscher, ja europäischer Geschichte wird bewahrt.
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UdSSR, ROTE ARMEE,
ZWEITER WELTKRIEG
Mit der Oktoberrevolution von 1917 entstand die UdSSR. Ihre Streitkraft war die Rote Armee. Nachdem Sowjetunion und Deutsches Reich im August 1939 ihre Machtsphären vertraglich festgelegt hatten, wähnte der sowjetische Diktator Stalin sein Land zunächst sicher. Deutschland begann jedoch am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg. Es unterdrückte die von ihm besetzten Gebiete Europas, beutete diese aus und ermordete dort Millionen Bewohner, vor allem Juden. Am 22. Juni 1941 griff Nazi-Deutschland auch die Sowjetunion an. Fünf Millionen Rotarmisten standen den deutschen Truppen gegenüber. Insgesamt sollten etwa 25 Millionen Sowjetbürger gegen die Angreifer kämpfen, darunter viele der in der UdSSR lebenden Juden. Etwa 30 Millionen Menschen kamen in diesem Krieg um, davon ca. acht Millionen sowjetische Soldaten. Der Sieg der UdSSR 1945 ging mit schrecklichen Verlusten einher.
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JUDENTUM UND ANTISEMITISMUS
IN DER UdSSR BIS 1941
Seit Jahrhunderten gab es Juden im Raum der späteren Sowjetunion. Viele wohnten bis ins frühe 20. Jahrhundert in ländlichen Ortschaften. Kulturelle Anpassung an Nichtjuden war dort selten. Bei Kriegsbeginn lebten fünf Millionen Juden in der UdSSR. Bereits um 1900 bestanden auch zunehmend weltlichere Auffassungen innerhalb des Judentums. Die Religionsfeindlichkeit des Sozialismus bestärkte diese Entwicklung durch Druck von außen. Es existierte vielerorts religiös und rasseideologisch argumentierender Antisemitismus: Juden wurden in Pogromen getötet, vertrieben oder anderweitig diskriminiert, jüdische Einrichtungen verboten oder geschändet. In der UdSSR gab es Judenhass in der Bevölkerung. Staatlicherseits nahmen Verfolgungen unter Josef Stalin zu. Mitte der dreißiger Jahre gab es eine Welle der Schließungen jüdischer Einrichtungen, der Verhaftungen von Juden. Vergleichbares geschah auch kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sowie in den sechziger Jahren.
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ALLTAG
IN DER ROTEN ARMEE
Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 traf die schlecht ausgerüstete Rote Armee unerwartet. Die sowjetischen Truppen mussten sich zurückziehen. Bis zum Jahresende starben ca. zwei Millionen Rotarmisten, drei Millionen gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft. Seit der Schlacht um Moskau kam der Vormarsch der Nazis ins Stocken. Mit der gewonnenen Schlacht um Stalingrad Anfang 1943, dank dem Ausbau der eigenen Rüstung und US-Hilfe, drang die Rote Armee in Richtung Westen vor. 1945 stand sie auf deutschem Reichsgebiet.
Der Alltag der Rotarmisten an der Front war von Hunger, Erschöpfung und anderen Erschwernissen geprägt. Todesangst und die Sorge um Angehörige hatten alle von ihnen. Die Soldaten wollten den Überfall und die todbringende Okkupation vergelten. Der Furcht vor dem rigiden Umgang der eigenen Vorgesetzten mit Untergebenen stand das Gefühl entgegen, in einer Gemeinschaft für die gerechte Sache und den Sieg zu kämpfen.
Gesprächspartner
Marija Chaimowa, Berlin – Grigori Dreer, Berlin – Jewgeni Fuks, Berlin – Moissej Gimpeliowski, Berlin – Joine Goldgar, Berlin –
Semjon Kleiman, Berlin – Jakow Kolodisner, Berlin – Janis Ofmanis, Berlin – Jakow Resnik, Berlin – Jewgenija Smuschkewitsch, Berlin –
Miron Sucholuzki, Berlin – Boris Tscherepaschenez, – Berlin – Lew Wilenski, Berlin
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FRAUEN
IN DER ROTEN ARMEE
Frauen konnten sich freiwillig zum Dienst in der Roten Armee melden. Nach den millionenfachen Verlusten der sowjetischen Streitkräfte in den ersten Kriegsmonaten wurden Soldatinnen ab 1942 zielgerichtet mobilisiert. Knapp eine Million Frauen dienten während des Zweiten Weltkrieges in der Roten Armee. Wenngleich sie oft als Krankenschwestern oder Bürokräfte eingesetzt waren, kämpften sie auch an der Front, zumeist in niedrigeren Rängen. Wie die Männer hatten Frauen Angst, im Krieg zu kämpfen, wie die Männer riskierten sie im Kampf gegen die Deutschen ihr Leben.
Rotarmistinnen wurden zuweilen durch Männer innerhalb der Truppe bedrängt. Andere vermochten dort Partnerschaften zu schließen. Einen »Emanzipationsschub« bedeutete die Teilnahme am Krieg für die weiblichen Kämpfer im Regelfall nicht. Bei Kriegsende musterte man Frauen aus. An den Beitrag der Kämpferinnen zum Sieg wurde kaum gesondert erinnert.
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JUDEN
IN DER ROTEN ARMEE
Schon vor dem Zweiten Weltkrieg setzten sich viele Juden mit den Gefahren des Nationalsozialismus auseinander. Mit dem Einmarsch der Deutschen und dem Beginn der deutschen Besatzungsherrschaft innerhalb der UdSSR fl ohen viele Juden. Angehörige wurden verschleppt oder ermordet.
Gegen die Deutschen zu kämpfen, bedeutete nicht nur als Sowjetbürger sein Vaterland zu verteidigen, selbst, wenn es einen zuweilen als Juden ablehnte. Um als Jude zu überleben, musste man den Feind schlagen, der die jüdische Bevölkerung umbrachte. Während des Krieges galt es, innerhalb der Roten Armee zusammen zu halten. Und doch gab es selbst dort in Kriegszeiten Anzeichen von Antisemitismus.
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KRIEGSENDE, SIEG
UND RÜCKKEHR IN DIE HEIMAT
In der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa. In Berlin-Karlshorst wurde die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet. Weltweit, so auch in der Sowjetunion, wurde das Ende des Krieges gefeiert und der Tag des Sieges zum Symbol der Befreiung. In der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland verblieben zahlreiche Truppenverbände der Roten Armee. Im Juni 1945 wurde die Sowjetische Militäradministration (SMAD) eingerichtet.
In den nachfolgenden Monaten kehrten viele militärische Einheiten der Roten Armee in die UdSSR zurück. Für viele erfolgte nach der Kapitulation Japans am 2. September 1945 die Auflösung. Die jüdischen Heimkehrer aus der Armee hatten Angehörige in Krieg und Schoa verloren und sahen bei ihrer Rückkehr in die durch den Krieg zerstörte Heimat einer ungewissen Zukunft entgegen.
NACHKRIEGSZEITEN
Noch unmittelbar unter dem Eindruck des Krieges wurde nach Neuanfängen in dem zunächst ungewohnten Friedensalltag gesucht. Nachgeholten Schulabschlüsse, Ausbildungen und Studium boten Chancen dafür. Den Heimkehrern eröffneten sich vielfältige Berufswege. Viele ehemalige jüdische Frontsoldaten sahen sich mit Judenhass konfrontiert. Auch das berufliche Fortkommen der Kinder konnte durch staatlichen Antisemitismus erschwert werden –ebenso die Pflege jüdischer Bräuche. Seit den 1960er Jahren wurde die Erinnerung an die gemeinsamen Erlebnisse in der Roten Armee verstärkt wach gehalten. Es entstanden Veteranen-Klubs. Veranstaltungen an den historischen Orten des Kriegsgeschehens sollten ein Vergessen verhindern.
Nur ein Drittel der jüdischen Bevölkerung der früheren Sowjetunion lebt heute noch dort. Seit dem Ende des Kalten Krieges und der Auflösung der UdSSR emigrierten zwei Drittel der sowjetischen Juden in die ganze Welt. Die politische Instabilität der zerfallenden Sowjetunion, wachsender Judenhass aber auch soziale oder familiäre Gründe brachten viele dazu, ihre Heimat zu verlassen. Deutschland war neben Israel und den USA ein bevorzugtes Auswanderungsland.
Seit Anfang der 1990er Jahre kamen rund 200.000 Juden aus der ehemaligen UdSSR nach Deutschland. Damit stellen sie mehr als 80 Prozent aller Mitglieder der hiesigen jüdischen Gemeinden. Die Jüdische Gemeinde zu Berlin umfasste im Jahr 2000 bereits 12.000 Mitglieder aus der ehemaligen Sowjetunion, darunter etwa 100 Veteranen, die sich in einem Verband organisiert haben. Auch in anderen Städten Deutschlands wie München, Stuttgart, Potsdam oder Dresden erinnern sich jüdische Vete ranen der Roten Armee gemeinsam an ihre Erfahrungen.
In Kooperation mit
Bild 1: Blick in die Ausstellung ZSuD 1 (c) CJ_Anna Fischer
Bild 2: Blick in die Ausstellung ZSuD 2 (c) CJ_Anna Fischer
Bild 3: Blick in die Ausstellung ZSuD 3 (c) CJ_Anna Fischer
Bild 4: Grafik zur Ausstellung
Bild 5: Grafik zur Ausstellung
Bild 6: Grafik zur Ausstellung
Bild 7: Blick in die Ausstellung ZSuD 4 (c) CJ_Anna Fischer
Bild 8: Grafik zur Ausstellung
Bild 9: Grafik zur Ausstellung
Impressum zur Ausstellung
Eine Ausstellung der Stiftung Neue Synagoge – Centrum Judaicum, Berlin
in Zusammenarbeit mit Culture and more, München
Idee:
Dr. Hermann Simon
Konzeption, Recherche, Sprachmittlung,
Interviews, Pädagogik:
Philipp Rauh, M.A.
Dr. phil. Christian Schölzel, Culture and more, München
Sascha Topp, M.A.
Jewgeni Tsynman, M.A.
Gestaltung:
Peter Wentzler, Hinz & Kunst, Braunschweig
Weitere Mitarbeit:
Mürvet Arik
Helena Mielke
Sophia Frommel
Binha Haase
Christian Reipert
Tassilo Rüster
Anna Stammnitz
Stellsystem und Druck:
Jens Kollmorgen, Kollmorgen GmbH, Braunschweig
Druck des Flyers:
form art, Berlin
Das Projekt wurde maßgeblich durch das
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, Berlin im Rahmen des Programms
»CIVITAS« gefördert.
Wir danken:
den Veteran/Innen:
Marija Chaimowa, Berlin
Grigori Dreer, Berlin
Jewgeni Fuks, Berlin
Moissej Gimpeliowski, Berlin
Joine Goldgar, Berlin
Semjon Kleiman, Berlin
Jakow Kolodisner, Berlin
Janis Ofmanis, Berlin
Jakow Resnik, Berlin
Jewgenija Smuschkewitsch, Berlin
Miron Sucholuzki, Berlin
Boris Tscherepaschenez, Berlin
Lew Wilenski, Berlin
den Schulen:
Canisius-Colleg, Berlin – besonders:
Pater Klaus Mertes SJ., Margarete Sartorius,
Dr. Werner Simon
Evangelisches Gymnasium zum Grauen Kloster,
Berlin – besonders: Dr. Martin Heider,
Andreas Trampf-Jahning, Harald Grimm
Jüdische Oberschule Berlin – besonders:
Barbara Witting, Uwe Jacobs
Gottfried-Keller-Gymnasium, Berlin – besonders:
Rainer Leppin, Uwe Kany
allen Mitarbeiter/Innen des Centrum Judaicum
für ihre vielfältige Unterstützung.
außerdem:
Peter Feldman, Berlin
Jewgenija Rubina, Berlin
Dr. Rudolf Rosenberg, Berlin