Gelbliche schwarz-weiß Fotografie von Henriette Arendt (rechts) mit Kind (links), die in einer Zeitung abgedruckt ist. Henriette Arendt trägt ein dunkles, langärmliges Gewand und eine weiße Schleife um den Hals, eine runde Brille sowie eine dunkle Kopfbedeckung. Das Kind trägt ein helles Kleid mit Puffärmeln und eine helle Schleife auf dem Kopf. Beide sitzen und schauen in die Kamera. Der Bildausschnitt zeigt nut die Oberköper der Personen.

 Henriette Arendt und Prostitution

Von Liv Bahr, Studierende der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)

Henriette Arendt (1874–1922) wurde in einem gutbürgerlichen Haushalt geboren und folgte zunächst einem konventionellen Weg. Sie erhielt eine solide Ausbildung an der Höheren Töchterschule in Königsberg und einer Handelsschule in Berlin, um daraufhin eigentlich im elterlichen Handelsbetrieb mitzuarbeiten. Ihre Schulbildung schloss sie dann in den 1890er Jahren an der École Supérieure in Genf ab. Doch ihr Weg führte sie bald in eine andere Richtung.

Im Jahr 1895 verließ Henriette Arendt das Elternhaus, um eine Ausbildung im Jüdischen Krankenhaus in Berlin zu absolvieren. Dort sammelte sie erste Erfahrungen mit prekären Lebensverhältnissen und notleidenden Menschen. Später arbeitete sie in verschiedenen Krankenhäusern des Schwesternverbands vom Roten Kreuz, wo sie für die vielfältigen sozialen Probleme sensibilisiert wurde und einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit entwickelte. ihre soziale Sensibilität und ihren Einsatz für Gerechtigkeit weiterentwickelte.

1899 ließ sich Henriette Arendt taufen und zog nach Stuttgart, wo sie sich dem konfessionslosen Stuttgarter Hilfspflegerinnenverband anschloss. Gemeinsam mit dem Schwäbischen Frauenverein gelang es ihnen, die Stuttgarter Polizeibehörde von der Notwendigkeit der Anstellung einer Polizeiassistentin zu überzeugen. 1903 trat Arendt in Schwesterntracht ihre Arbeit im Stadtpolizeiamt an, sodass sie die erste deutsche Polizeiassistentin wurde. Die erstmalige Anstellung einer Frau in den Polizeidienst war seit langem von der Frauenbewegung gefordert worden. Denn die männlichen Polizisten waren kaum sensibilisiert für den Umgang mit weiblichen Beschuldigten – vor allem mit Prostituierten. Dies hatte zur Folge, dass es immer wieder durch Polizeibeamte zu Misshandlungen und Übergriffen kam.

Arendts Arbeit im Polizeidienst brachte sie in direkten Kontakt mit den Herausforderungen der Gesellschaft, insbesondere mit den Missständen in Bezug auf Prostitution, Armut und Kinderhandel. Henriette Arendt kritisierte mutig den Staat und die Polizei für ihre Untätigkeit oder Ignoranz gegenüber diesen Problemen und setzte sich für Veränderungen ein. Mit ihrer Kritik widersprach sie der Erwartungshaltung an ihr Berufsbild, sodass sie schon 1908 ihre Kündigung einreichte und in die Schweiz zog.


Nachdem sie im gleichen Jahr aus dem Polizeidienst ausgeschieden war, wurde Henriette Arendt zu einer engagierten Publizistin und internationalen Rednerin.

 

Gelbliche schwarz-weiß Fotografie von Henriette Arendt (rechts) mit Kind (links), die in einer Zeitung abgedruckt ist. Henriette Arendt trägt ein dunkles, langärmliges Gewand und eine weiße Schleife um den Hals, eine runde Brille sowie eine dunkle Kopfbedeckung. Das Kind trägt ein helles Kleid mit Puffärmeln und eine helle Schleife auf dem Kopf. Beide sitzen und schauen in die Kamera. Der Bildausschnitt zeigt nut die Oberköper der Personen.
Porträt von Henriette Arendt

Während des Ersten Weltkrieges lebte sie in London und setzte sich auch dort für soziale Reformen ein. Ihre politische Ehe mit einem französischen Verwandten konnte sie jedoch nicht vor der Abschiebung aus England bewahren. Zurück in Deutschland engagierte sie sich erneut als Pflegeschwester beim Roten Kreuz, bevor sie tragischerweise im Alter von nur 47 Jahren an den Folgen einer Operation in Mainz verstarb.

 

Heute wird Henriette Arendt als eine der ersten Sozialreformerinnen und Wegbereiterinnen für soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte geehrt. Sie kämpfte gegen die Doppelmoral des Paragrafen § 361.6, gegen die Ungerechtigkeit, insbesondere im Zusammenhang mit der Prostitution, und setzte sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen der unteren Schichten ein. 

Ihr Engagement im Scheunenviertel, einem Ort prekärer Lebensverhältnisse und Prostitution, sowie ihre Arbeit im Jüdischen Frauenbund und im Arbeiterfürsorgeamt hinterlassen ein bedeutendes Erbe im Kampf gegen Ungerechtigkeit und für die Förderung der Menschenwürde. Zeitgeschichtlich war der Mädchenhandel und die damit verbundene Prostitution ebenfalls für den Jüdischen Frauenbund ein Thema, um gegen antisemitische Ressentiments vorzugehen. In der Auguststraße 17 war früher das Arbeiterfürsorgeamt, welches migrierte jüdische Arbeiter:innen unterstützte. Im selben Haus war ebenfalls ein jüdisches Kinderheim. Hier war Arendt jahrelang tätig und engagiert.

Folgenden Text veröffentlichte am 25. Oktober 1922 der sozialdemokratische Vorwärts; er erschien gleichlautend am 28. Oktober auch in der österreichischen Salzburger Wacht:


„Schwester Henriette Ahrendt. Im Alice-Hospital in Mainz starb völlig unbeachtet Frau Henriette de Matringe-Ahrendt. […]. Schwester Henriette Ahrendt war die erste deutsche Polizeiassistentin in Stuttgart. Als Fürsorgerin für Frauen und Mädchen, die mit der Polizei irgendwie in Konflikt gerieten, be stellt stieß sie auf grauenhaftes Kinderelend, in das helfend einzugreifen, ihr unbezwinglicher Wille wurde. Ohne Verhüllung irgendeiner Gemeinheit und Roheit zeigte sie der Menschheit in ‚Kleine weiße Sklaven′, ‚Kindehändler′, ‚Kinder des Vaterlandes′ alle Höhlen des Elends, in die unwissende kleine Kinder gezerrt werden, brachte Namen, Zahlen, genaue Details bei, die den Leser erschauern lassen mußten. Aber statt ihr zu helfen, agitierte man gegen sie und legte ihr Steine in den Weg. Im Jahre 1911 wurde ein Gesuch, ihr zur Aufdeckung des Kinderhandels in Berlin Unterstützung zu gewähren, vom Polizeipräsidium kurz abgewiesen. Staatliche Grenzen und finanzielle Schwierigkeiten gab es für sie nicht. Sie berichtet sowohl von Rußland und Galizien wie auch von Frankreich, Belgien, Spanien, Italien und der Schweiz. Sie fand immer Menschen, die ihr aus ihrer Geldverlegenheit halfen und ihre Menschenliebe und ihren Hilfswillen hinter allen oft etwas abenteuerlichen Aeußerlichkeiten erkannten und unterstützten. […]“

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