Dokumente aus dem Archiv
der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum
zum 80. Jahrestag des Kriegsendes
von Barbara Welker 2025
Die letzten Kriegstage auf dem jüdischen Friedhof Weißensee
Martin Riesenburger, geb. 1896, der bis zu seinem Tod im April 1965 als Rabbiner der Ostberliner jüdischen Gemeinde wirkte, verbrachte die letzten Kriegsmonate in Berlin. Er überlebte, geschützt durch seine nach den Kriterien der Nationalsozialisten nichtjüdische Ehefrau Klara, in einem Gebäude auf dem Friedhof Weißensee, damals Lothringenstr. 22.
Riesenburger hat immer wieder meist handschriftliche Aufzeichnungen über Ereignisse in diesen Jahren verfasst, die später in sein zuerst 1960 erschienenes Buch „Das Licht verlöschte nicht“ eingeflossen sind. Im Archiv des Centrum Judaicum gibt es eine kleine Sammlung mit Unterlagen aus seinem Nachlass, in der sich einige dieser handschriftlich gefertigten Zettel, aber auch ein maschinengeschriebener Zettel über die Ereignisse Ende April befinden – es scheint, als habe Riesenburger in diesem Fall seine handschriftlichen Aufzeichnungen kurze Zeit später noch einmal sauber abgetippt.
Riesenburger berichtet über den ersten Soldaten der Roten Armee, der den Friedhof am 22. April 1945 betrat, auch in dem späteren Büchlein aber dort klingt es viel poetischer und auch etwas pathetisch:
„Als es 15.00 Uhr nachmittags war – ich habe mir damals alles genau notiert -, da durchschritt das Tor unseres Friedhofs der erste sowjetische Soldat! Aufrecht und gerade war sein Gang. Ich hatte das Gefühl, daß er mit jedem Schritt bei seinem Kommen zu uns ein Stück des verruchten Hakenkreuzes zertrat. Wir umarmten diesen Boten der Freiheit, wir küßten ihn – und wir weinten!“ (Martin Riesenburger, Das Licht verlöschte nicht. Ein Zeugnis aus der Nacht des Faschismus, zitiert nach der Ausgabe Teetz 2003, S. 91f.)
Die genannten Beeerdigungen finden sich auch im Beisetzungsregister des jüdischen Friedhofs – allerdings sind dort für diesen Tag sogar drei Beerdigungen nachweisbar. Auf den Beerdigungsanmeldungen scheint das Datum noch einmal handschriftlich geändert worden zu sein, vom 22. April auf den 25. April. An diesem Mittwoch wurden drei Männer beigesetzt, 81, 72 und 83 Jahre alt, die alle an Altersschwäche bzw. alterstypischen Krankheiten verstorben waren.
Opfer der Kampfhandlungen wurden der Gärtner Ludwig Silberstaedter, geb. 1894, gest. am 22. April 1945, und Auguste Simon geb. Berendt, geb. 1883, gest. am 23. April 1945, beide durch einen Bauchschuss (die Beerdigungsanmeldung vermerkt auch „Fliegerschaden“) in der Berliner Allee 234 – diese Hausnummer war damals fast gegenüber der ehemaligen Lothringenstraße, die zum Friedhof führt, zwischen Pistorius- und Parkstraße. Sie wurden am 26. bzw. 29. April beerdigt.
Alle Beisetzungen fanden im vorderen Bereich des Friedhofs statt, meist im Feld F I rechts hinter dem Eingang und der Alten Halle. Die Beteiligten sollten nur kurze Wege bis zur Grabstelle zurücklegen müssen. Die neue Trauerhalle war 1944 bei einem Bombenangriff zerstört worden und der Friedhof war in den letzten Kriegstagen immer wieder unter Beschuss bzw. Ziel von Bombenangriffen.