Im Sommer 2013 erhielt das Archiv der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum einen ungewöhnlichen Anruf: Die Nichte der im Alter
von 105 Jahren verstorbenen Ingeborg Wreschner geb. Hechler hatte gesehen, dass die Bibliothek im Besitz eines Bandes war, der ihrem lang
verstorbenen Onkel, Hellmut Wreschner, gehört hatte. Dabei handelte es sich um das „Jüdische Jugendbuch“, erschienen in Berlin 1920, versehen mit
dem Eigentumsstempel von Hellmut Wreschner.

Die Stiftung hatte den Band in die Datenbank zur Provenienzermittlung (Looted Cultural Assets) eingepflegt. Die Nichte wollte diesen Band nicht zurückerhalten, sondern bot der Stiftung zusätzlich zu dem Buch weitere Dokumente und Objekte aus dem Besitz von Hellmut Wreschner und seiner Ehefrau Ingeborg als Schenkung.

Kurz darauf konnte ein erstes Konvolut übernommen werden: die Geburts- und die Sterbeurkunde für Hellmut Wreschner, Heiratsurkunden und Papiere aus dem Emigrationsort Brasilien. Daneben wurden der Stiftung auch ein Eierbecher mit dem eingravierten Namen von Hellmut und eine Mesusa übergeben, die Eingang in die Sammlung des Museums fanden.

2016 erhielt das Archiv weitere Papiere der Ehefrau Ingeborg sowie Fotos. Zusammen mit dem Buch aus dem Besitz von Hellmut Wreschner ergeben diese beiden Konvolute eine kleine Sammlung zur Lebensgeschichte des Ehepaares.

Hellmut Werner Wreschner wurde am 5. Dezember 1909 in der elterlichen Wohnung in Berlin, Oranienburger Straße 37 – also unweit der Neuen Synagoge – geboren. Über seinen Vater Leo Wreschner sind leider keine Dokumente in unserem Archiv überliefert; einen Teil seiner Familiengeschichte konnten wir aber rekonstruieren. Er wurde 1868 als Sohn des Rabbiners Dr. Emanuel Wreschner und seiner Frau Charlotte, geb. Wasser, in Rakwitz (heute Rakoniewice/Polen) in der Provinz Posen geboren. Er hatte mindestens fünf Geschwister.

Emanuel Wreschner, geboren 1828 in Exin (Posen), kam 1845 zum ersten Mal nach Berlin. Nach seinem Studium wirkte er bis 1859 als Rabbiner in Kosten, nach seiner Eheschließung mit Charlotte Wasser war er als Kaufmann tätig (siehe: Biographisches Handbuch der Rabbiner, Teil I, S. 923-924). 1896 zog er nach Berlin und findet sich ab 1897 im Berliner Adressbuch – als Privatier mit der Adresse Lothringer Straße 41. Er verstarb 1900 in Berlin und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt, ebenso seine Frau Charlotte (1830-1916).

Leo Wreschners ältere Brüder waren u.a. der Arzt Sanitätsrat Dr. Eli Wreschner (1862-1925) und der Justizrat, Rechtsanwalt und Notar Semi Wreschner (1864-1926). Seine ältere Schwester Jenny (1856-1926) heiratete Josua Wasser (1850-1913), mit dem Leo gemeinsam die Firma J.H. Wasser, Getreidehandel und Bankgeschäft, gegründet 1848, besaß. Nach dem Tod von Josua Wasser betrieb Leo Wreschner allein ein Handelsgeschäft und erlangte später den Titel eines Handelsgerichtsrats.

Leo Wreschner wohnte zunächst in der Lothringer Straße in Berlin-Mitte. Ab 1901 ist er im Berliner Adressbuch mit Anschrift in der Oranienburger Straße eingetragen, zunächst Oranienburger Str. 1, ab 1904 Oranienburger Str. 46, ab 1907 schließlich Oranienburger Str. 37. Nach 1913 verzog er in die Altonaer Straße 6 in Tiergarten, ab 1935 lautet die Adresse Siegmunds Hof 9. Leo Wreschner verstarb im Juli 1937 und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt.

Hellmuts Mutter, die im Jahr 1880 als Leppmann geborene Charlotte Wreschner, wohnte im Mai 1939 noch in der Wohnung in Tiergarten, Siegmunds Hof 9. Kurz darauf emigrierte sie zu ihrem Sohn nach Brasilien und verstarb 1959 in Rio de Janeiro.

Ebenfalls in der Wohnung in Siegmunds Hof wohnten Hellmuts älterer Bruder Erich, geb. 1904 in Berlin, tätig als Jurist, und seine Frau Erika, 1915 in Berlin als Hoffmann geboren. Beide wurden am 29. Januar 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Ingeborg Hechler, geboren am 29. Juli 1906 in Hamburg, war weitgereist – einen großen Teil ihrer Kindheit verbrachte sie mit ihren Eltern und zwei Brüdern in Asien. Ihr Vater John Hechler starb 1950, ihre Mutter Gisela 1958 in Petropolis, Brasilien. Als junge Frau wurde sie Schneiderin und lebte in Lübeck, München und ab 1930 in Berlin. Sie war evangelisch, trat aber vor der Eheschließung mit Hellmut Wreschner zum Judentum über. Im Januar 1934 fand zunächst eine standesamtliche Trauung in Charlottenburg statt, drei Wochen später nahm Rabbiner Manfred Swarsensky die jüdische Trauung vor.

Kurz darauf emigrierte das Ehepaar nach Brasilien. Sie lebten die meiste Zeit in Rio de Janeiro, von 1964 bis 1966 aber auch in Sao Paulo. Ingeborg machte sich als Schneiderin selbstständig. Beide wurden brasilianische Staatsbürger. Am 1967 starb Hellmut in Rio de Janeiro. 1971 kehrte Ingeborg nach Europa zurück und erlangte 1975 ihre deutsche Staatsangehörigkeit wieder – da sie jedoch nicht in Deutschland leben wollte, ließ sie sich im Schweizer Kanton Zug nieder, wo sie 2012 verstarb.

Das Historische Archiv der Stiftung hat großes Interesse daran, weitere Dokumente (und auch Informationen) über diese Familie zu erhalten.

Barbara Welker
Leiterin des Historischen Archivs
Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum

Jan. 2017

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