Taschenbuch: 3,00 €

Herausgeber
Stiftung Neue Synagoge Berlin –
Centrum Judaicum

24 Dias zur Geschichte und Gegenwart der Neuen Synagoge Berlin

Am 5. September 1866 wurde im Herzen Berlins die Neue Synagoge nach siebenjähriger Bauzeit feierlich eingeweiht. Etwa 28.000 Juden lebten damals in Berlin und die bis dahin einzige Gemeindesynagoge in der Heidereutergasse reichte schon seit geraumer Zeit nicht mehr aus. Mit ihren 3.200 Plätzen wurde die Neue,Synagoge zum größten jüdischen Gotteshaus Deutschlands.
Die Planungen für einen Neubau gehen bis auf das Jahr 1846 zurück. Doch erst Jahre später wurde in unmittelbarer Nähe zu den bereits vorhandenen Einrichtungen der Jüdischen Gemeinde ein geeigneter Standort in der Spandauer Vorstadt (im heutigen Bezirk Mitte) gefunden. Hier lebten auch die meisten Juden. Den von der Jüdischen Gemeinde ausgeschriebenen Wettbewerb gewann der Vorsitzende des Berliner Architektenvereins, Eduard Knoblauch (1801 -1865). Für einen Synagogenbau war das ausgewählte Grundstück jedoch ungünstig geschnitten. Zur Straßenfront sehr schmal, verbreiterte es sich erst in der hinteren Hälfte. Knoblauch löste das Problem, indem er den eigentlichen Synagogenraum in der hinteren Hälfte des Grundstücks ansiedelte und durch eine mehrfache, kaum wahrnehmbare Verschiebung der Längsachse die für das Gebet vor-geschriebene Ausrichtung nach Osten, nach Jerusalem, annähernd erreichte. Die mit vergoldeten Rippen überzogene, 50 Meter hohe Kuppel wurde nicht wie üblich über den Toraschrein gesetzt sondern direkt über den Eingangsbereich an die Straße. Von dem Bauingenieur Johann Wilhelm Schwedler (1823-1894) entworfen, prägte sie die Silhouette von Berlins Mitte und symbolisierte für alle sichtbar das Selbstbewusstsein der jüdischen Gemeinde. Doch die Fertigstellung der Synagoge, die in »ihrer Ausschmückung unwillkürlich an die Zauberräume der Alhambra erinnerte«, wie eine Berliner Zeitung schrieb, erlebte Knob lauch nicht mehr. Nach seiner Erkrankung im Jahre 1862 führte sein Freund Friedrich August Stüler (1800-1865) in Zusammenarbeit mit dem Baumeister Hermann Hähne] (1830-1894) und Knoblauchs Sohn Gustav (1833-1916) den Bau der Synagoge weiter. Von Stüler stammt insbesondere die ebenfalls an orientalischen Vorbildern orientierte Gestaltung der Innenräume. Auch Stüler starb vor Fertigstellung des Baus.
Durch die Verwendung und Kombination verschiedener Materialien, Formen und Stil elemente sowie den Einsatz seinerzeit modernster Technologien galt die Neue Synagoge schon bald nach ihrer Einweihung als eine der schönsten Europas. Im Innern gehörten die tragenden gusseisernen Säulen, die Heizungsanlage sowie das Beleuchtungssystem zu den aufsehenerregendsten technischen Lösungen. Über dein fünf Joche gegliederten Mittelschiff der Hauptsynagoge befanden sich mit Sternmustern verzierte gläserne Oberlichter. Durch diese schien ebenso wie durch die farbigen Innenfenster dank eines mit Reflektoren kombinierten Gasbeleuchtungssystems auch Abend Tageslicht einzufallen. Die zahlreichen Wandleuchter und Kandelaber wurden ebenfalls durch ein weitverzweigtes, durch Zierelemente verdecktes, Gasleitungsnetz gespeist. Gestalterischer Höhepunkt der reichen farblichen Ausgestaltung, die heute unwiederbringlich verloren ist, waren der Toraschrein mit den aus italienischem Marmor gearbeiteten Säulen und die ebenfalls aus Marmor bestehende Bima (Estrade) mit dem Vorbeterpult. Doch der maurische Baustil und die prächtige Fassade gaben auch Anlass zur Kritik. Vor allem von antisemitischer Seite wurde der Bau als Ausdruck vermeintlicher Macht und Fremdheit des Judentums interpretiert.
Die Neue Synagoge blieb auch in den folgenden Jahren, als weitere große Gotteshäuser in Berlin gebaut wurden, religiöser Mittelpunkt. Der Gottesdienst, begleitet von Orgelmusik und einem aus Sängern und Sängerinnen gemischten Chor, folgte dem sogenannten neuen Ritus. Nach langen Diskussionen hatte sich der Gemeindevorstand für die Einführung des Orgelspiels entschieden und die hier eingebaute Orgel wurde die größte Synagogenorgel der Welt.

Louis Lewandowski (1821-1894), der Schöpfer der modernen Synagogalmusik, wirkte bis 1890 als Chordirigent an der Neuen Synagoge. Seine einst für dieses Gotteshaus geschaffenen liturgischen Kompositionen sind noch heute vielfach Bestandteil jüdischer Gottesdienste. Berühmte Rabbiner, Prediger, Kantoren und Organisten amtierten hier. Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler änderten sich die Lebensbedingungen für die deutschen Juden vollkommen. Ihre Ausgrenzung aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens führte bei vielen auf eine Rückbesinnung auf die jüdische Gemeinschaft und Kultur. Auch die Neue Synagoge wurde nun im wahrsten Sinne des Wortes »Bet ha-Knesset«, Haus der Versammlung und Ort des Gebetes. Häufiger wurden auch hier Gemeindeabende, Vortrags- und Konzertveranstaltungen durchgeführt.
Während des Novemberpogroms 1938 bewahrte der zuständige Polizeioffizier zusammen mit seinen Kollegen die Neue Synagoge vor Brandschäden größeren Ausmaßes. So konnte die Synagoge ab April 1939 wieder für Gottesdienste genutzt werden. Die letzten Gottesdienste fanden im März 1940 statt. Im gleichen Jahr wurde das Gebäude durch die Wehrmacht beschlagnahmt und als Lagerraum missbraucht. Bereits bei Kriegsbeginn, im September 1939, hatten die Behörden aus Luftschutzgründen die Übermalung sämtlicher Kuppeln der Stadt angeordnet. Die goldenen Kuppeln der Neuen Synagoge mussten ausgerechnet am Jüdischen Neujahrsfest, am 14.9.1939, während des Gottesdienstes schwarz überstrichen werden. Vier Jahre später, im November 1943, wurde die Synagoge bei einem Luftangriff schwer beschädigt und geriet in Brand. Der am stärksten zerstörte Hauptsynagogenraum wurde 1958 gesprengt, nur ein neugefertigtes Modell vom Längsschnitt der Neuen Synagoge lässt die einstige Größe und Schönheit erahnen.

Die an der Straße gelegenen Gebäudeteile sollten »Mahnung für alle Zeiten« sein, doch Witterungseinflüsse haben den Verfall der ungeschützten Ruinenteile weitgehend beschleu nigt. Die langjährigen Bemühungen der kleinen Ostberliner Gemeinde, an diesem Ort ein Jüdisches Museum einzurichten, wurden von der DDR-Regierung erst im Jahre 1988 aufge griffen. So wurde im Juni 1988 die Stiftung »Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum« gegründet, um die Synagogenruine wiederaufzubauen und ein jüdisches Zentrum einzurichten. Eine vollständige Rekonstruktion, einschließlich des 1958 gesprengten Hauptsynagogenraums, war nicht vorgesehen. Der Wiederaufbau begann am 10. November 1988 mit einer symbolischen Grundsteinlegung.

Das denkmalpflegerische Konzept sah vor, die originalen Bauteile soweit als möglich zu erhalten. Die Ergänzung fehlender Elemente durch moderne Gestaltungsvariationen lassen die Spuren der Zerstörung deutlich erkennen. Eine Ausnahme in diesem Konzept bildet die Kuppel, die in ihrer ursprünglichen Gestalt in Anlehnung an die Schwedler-Kuppel wie derhergestellt wurde. Hinzu kamen ein kleiner Synagogenraum sowie ein rituelles Tauchbad (Mikwe). Von den Ausmaßen des einstigen Synagogenhauptraumes kann man sich bei einem Gang auf die Freifläche überzeugen, wo der ursprüngliche Grundriss in Stein ausgelegt ist. Acht gusseiserne Säulen erinnern symbolisch an den Toraschrein, der einst von Säulen aus italienischem Marmor flankiert war. Die frühere Innenwand und die letzten Reste Mauerwerk, mit denen die eigentliche Synagoge begann, sind durch eine Glas-Stahl-Konstruktion geschützt. So bleiben die Narben, die die Geschichte verursacht hat, deutlich sichtbar. Bei den Aufräumungs- und Sicherungsarbeiten, die der Rekonstruktion der erhalten gebliebenen historischen Bausubstanz vorangingen, wurden einige architektonische Fragmente sowie beschädigte Teile der Inneneinrichtung entdeckt. Ein Fundstück mit beson derer Symbolkraft ist das Ewige Licht (NerTamid), das einst vor dem Toraschrein als immerwährendes Licht und Zeichen der Gegenwart Gottes hing. Es hatte Jahrzehnte in einer Betondecke überdauert.
Im Mai 1995 wurden die aus Spenden finanzierten Aufbauarbeiten abgeschlossen, und das Centrum Judaicum, das sich jetzt besonders der Forschung sowie Pflege, Bewahrung und Vermittlung jüdischer Kultur und Geschichte widmet, wurde eröffnet. Die Dauerausstellung »Tuet auf die Pforten…« lädt gemäß dem über dem Eingang stehenden Jesajawort dazu ein, sich über die Geschichte des Gotteshauses und der einst benachbarten Gemeindeeinrichtungen, zu informieren. Hierbei ist besonders dem jüdischen Museum, zu dessen Förderern auch Max Liebermann gehörte, viel Raum gewidmet. Den Abschluss der Ausstellung bilden Fotografien aus dem heutigen jüdischen Leben in Berlin sowie Schülerarbeiten aus dem Kunstunterricht der 1993 wiedereröffneten jüdischen Schule in der Großen Hamburger Straße.

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