Fotografie von der Bring-them-Home-Solidaritätsaktion vor den Portalen des historischen Teils der Neuen Synagoge Berlin. Am Zaun vor den Portalen sind in drei Reihen übereinander Fotos mit Namen der Personen angebracht, die am 07. Oktober 2023 von der Hamas entführt wurden. Unten rechts sind auf dem Boden und Mauervorsprung Kerzen und aufgestellte Fotorahmen zu sehen.

Das Trauma des 7. Oktober

Sechs Monate sind seit dem Massaker der Hamas vergangen. Die Erschütterung, das Trauma bleiben, und mehr als 100 Geiseln befinden sich weiterhin in den Händen der Terroristen. Am Eingang zu unserer Dauerausstellung zeigen wir daher nach wie vor einen Videofilm zu #BringthemHome, in dem eine Angehörige von Verschleppten zu Wort kommt. Eine kurze Botschaft, die für unendlich viel Unbeschreibliches steht. Doch was hat dieses Video mit uns und unserer Arbeit zu tun, wo wir uns doch vor allem mit jüdischer Geschichte und Gegenwart beschäftigen, mit dem Fokus auf Berlin?

Auf den ersten Blick möglicherweise nicht viel, und es gibt gute Gründe, Nahost und insbesondere israelisches Regierungshandeln nicht mit der jüdischen Gegenwart in Berlin zu vermischen – zu oft werden Jüdinnen und Juden in Deutschland für Dinge verantwortlich gemacht, die weder ihre sind noch zwangsläufig etwas mit ihnen zu tun haben. Und dennoch beeinflussen die öffentlichen Diskurse um Israel und Nahost auch unsere Arbeit: Sie sind uns allen, inklusive unseren Besucher ,präsent, und sie stehen zweifellos in Verbindung mit israelbezogenem Antisemitismus, der immer klarer hervortritt. Das bedeutet keinesfalls, dass wir andere Formen des Antisemitismus, insbesondere aus dem rechtsextremen Spektrum, weniger ernst nehmen.

Der israelbezogene Antisemitismus und in schwächerer Form anti-israelische Ressentiments stellen gerade heute eine eklatante Herausforderung dar. Ebenso herausfordernd ist es, wenn der Kampf gegen Antisemitismus und der Kampf gegen Rassismus als konkurrierend wahrgenommen werden. In vielen Teilen des Kulturbereichs herrscht die Auffassung, der „ausschließliche“ Kampf gegen Antisemitismus sei (zu) etabliert, gehöre zu einem rechtskonservativen Kanon und sei daher nicht ganz legitim. Beide Phänomene sind nicht neu, jedoch präsenter und enttäuschender als zuvor. Ihre Ursachen liegen teils in der Nahost-Situation, teils in Zuschreibungen und Selbstbildern. Was treibt Menschen in Deutschland an, wenn sie Israel klar verurteilen und spezifische Standards anlegen? Das Video, das wir zeigen, lässt Raum für Schmerz und Trauer nach dem 7. Oktober. Zunächst ist dieser Schmerz, ist dieses Trauma ohne Wenn und Aber anzuerkennen. Genau dies fällt jedoch vielen offensichtlich schwer.

Wo bleibt bei ihnen die notwendige Selbsthinterfragung, wo bleibt das Bemühen, sich die eigenen Urteile schwer zu machen und sich emotional hineinzuversetzen – ein anderes Wort für Empathie? Warum sehen manche die Dilemmata und Kontexte so wenig? Warum erscheinen ihnen die Dinge so einfach? Sie sind es nicht, weder für Jüdinnen und Juden in Deutschland noch für viele Israelis, die oft genug ihre eigene Regierung höchst kritisch sehen (so wie die Verfasserin), intensive Diskussionen führen und Ambivalenzen aushalten – müssen. Viele Jüdinnen und Juden fühlen sich heute unverstanden von weiten Teilen der Gesellschaft in Deutschland, spüren eine Kluft, wie sie jahrzehntelang nicht mehr bestand. Hier in Berlin laden wir in dieser Zeit umso mehr dazu ein, jüdische Perspektiven und Erfahrungen in Geschichte und Gegenwart kennenzulernen und darüber nachzudenken. Dass wir immer wieder Bezüge zu anderen „Anderen“ herstellen und sämtlicher gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit entgegentreten – müssen wir das eigens betonen? Jegliche Gegenüberstellung von Jüdinnen und Juden auf der einen Seite versus weiteren Minderheiten auf der anderen Seite ist jedenfalls nicht unsere Sache.

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