Beitrag: Solidarität

Empathie und Empathielosigkeit

Aus unserem Newsletter vom 17. November 2023

„Wir sind nach wie vor tief erschüttert über den Terror und die grausame Brutalität der Hamas gegen israelische Jüdinnen und Juden. Die Bilder und Nachrichten sind unerträglich und beeinflussen uns und unsere Arbeit. Unsere Solidarität gilt den Opfern und ihren Familien. Dies bedeutet keinesfalls, dass uns das Schicksal der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen gleichgültig ist. Wir stehen dafür ein, dass Menschenrechte unteilbar und universell sind, für alle gelten und die Würde jedes Menschen unantastbar ist. So komplex und schwierig politische Konzepte für den Nahostkonflikt zweifellos sind: Der Terror der Hamas steht genau nicht und in keiner Weise für Menschenrechte, sondern für Unmenschlichkeit.

Manche Reaktionen auf deutschen Straßen, aber auch auf Foren und in Medien erschrecken uns umso mehr. Vielleicht sogar weniger die eindeutig antisemitischen Äußerungen und Pamphlete als vielmehr manche Empathielosigkeit im Blick auf Israel und seine Menschen oder auch im Blick auf das Leben von Jüdinnen und Juden in Deutschland.

Zeichen der Solidarität mit Israel, mit der israelischen Bevölkerung und den Geiseln in den Händen der Hamas haben in diesen Zeiten eine besondere Bedeutung. So berühren die Blumen, Kerzen, Fotos und Texte, die vor der Neuen Synagoge Berlin abgelegt wurden, wie etwa am Abend des 9. November, als Menschen aus Kerzen ein „Don’t Forget“ bildeten.

Als ein Zeichen der Solidarität sehen wir es auch, wenn Menschen gerade in dieser Zeit Führungen in unserem Museum nicht absagen, sondern zu uns kommen. […]“

Zäsur

Aus unserem Jahresrückblick auf 2023 vom 8. Januar 2024

„Dieses Jahr geht anders zu Ende. Das Massaker am 7. Oktober hat uns tief erschüttert. Wie sehr wir welche Zäsur erleben, wird auch die kommende Zeit zeigen. Dabei haben die unbeschreiblichen Terrorakte sowie die Wochen und Monate danach, der Krieg, aber auch die Reaktionen in Deutschland und Europa Auswirkungen auf jede/n einzelne/n Mitarbeiter/in. Einige Stimmen aus unserem Team, persönliche Empfindungen und Gedanken, aber auch Erfahrungen und Erlebnisse aus dem Museumsalltag, möchten wir gerne mit Ihnen teilen.

Wie sehr die Ereignisse auch Besucher:innen unseres Museums bewegen, zeigen die vielen Kerzen, Blumen und Fotos vor dem Eingang der Synagoge, die uns sehr berühren. Leider spüren wir als Museum jedoch auch eine große Verunsicherung seit dem 7. Oktober. Manche Menschen entscheiden sich gegen einen Besuch bei uns, obwohl es gerade in diesen Zeiten wichtig ist, Präsenz zu zeigen, Solidarität zu bekunden, auch im Kleinen, und über jüdisches Leben als Teil der Stadt erfahren zu wollen. Umso mehr freuen wir uns daher über jeden Besucher und jede Besucherin, die auch und gerade in diesen Tagen zu uns kommt. Wir selbst setzen ein klares Zeichen, indem wir die von ANU, das Tel Aviver Museum des jüdischen Volkes, initiierte Videoinstallation zeigen, über die sich in der Gewalt der Hamas befindlichen israelischen Geiseln. Unsere Arbeit geht weiter, nicht einfach so, aber im Bewusstsein dessen, dass es gut ist, jüdisches Leben, jüdische Geschichte, Kultur und Gegenwart in Berlin erfahrbar zu machen.“ 

 

 

Stimmen zum 7. Oktober 2023

Ich arbeite im Museumsdienst des Centrum Judaicums, gerne möchte ich einen Stimmungsbericht für die Zeit spezifisch nach dem 7. Oktober schreiben. Mich, als Mensch mit jüdischen Wurzeln, bewegt diese Zeit natürlich sehr. Ich habe aber auch festgestellt, dass die Besucher des Museums nach dem 7. Oktober anders waren. Manche hatten Angst das Museum zu besuchen, manche waren sehr bedrückt und fast den Tränen nahe. Der Besuch eines muslimischen Pärchens aus der Türkei hat mich besonders bewegt. Sie besichtigten das Museum und meinten gleich, dass sie mich danach persönlich sprechen wollten. Ich dachte sie hätten Fragen zum Museum, aber sie haben sich unter Tränen für die Geschehnisse entschuldigt. Da standen diese zwei jungen Menschen, die gar nichts dafür können, Hand in Hand unter Tränen vor mir. Diese Geste war schon sehr bewegend. Wir unterhielten uns kurz, umarmten uns, wünschten uns Frieden und alles Gute und sie gingen ihrer Wege. 

Es kamen danach noch einige Beileidsbekundungen. Aber diese zwei jungen Leute blieben mir schon sehr in Erinnerung. Das wollte ich gerne mitteilen.

Der 7. Oktober und seine Folgen haben den eh besucherarmen Herbst in diesem Haus ganz sicher noch
ein wenig leerer und düsterer zurückgelassen. Ja, es gab und gibt die Besucher:innen, die hier und jetzt ihre Solidarität mit jüdischem Leben, das die Neue Synagoge wohl wie kein anderes Gebäude in Berlin repräsentiert, zum Ausdruck bringen und brachten.

Doch es gab und gibt leider auch diejenigen, die diesem Ort gerade jetzt fernbleiben, wenngleich ihre Gründe der Verunsicherung, Überforderung oder auch Angst im Einzelfall sicher nachvollziehbar sind.
Deutlich war dies kurz nach dem 7. Oktober vor allem am Absagen vieler Führungen / Veranstaltungen.
Ich hoffe, dies ist nur eine Phase (des Schocks, der Sprachlosigkeit) und kein Wendepunkt im Verhältnis zum jüdischen Leben in Berlin, ja in Deutschland. 

Einen tiefen Einschnitt bedeutete für mich als Betreuerin des Oral-History-Projekts der grausame Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Mit Entsetzen musste ich erfahren, dass die beste Freundin von Rotem Erez beim Supernova Sukkot Gathering in Re’im brutal ermordet wurde. Rotem hatte uns zusammen mit ihrem Großvater, dem Holocaust-Überlebenden Zvi Cohen, im Jahr zuvor ein Interview gegeben. Eine weitere Überlebende der Shoa und Interviewpartnerin aus Tel Aviv, die 93-jährige Frau Malin, leidet psychisch schwer unter dem Terrorakt und den täglichen Raketenangriffen. Frau Malin erwähnte uns gegenüber im Interview vor einem Jahr, wie stolz sie sei, dass es nun Soldaten gäbe, die sie beschützten. Diese Gewissheit ist jetzt dahin. Vielleicht ist Israel im Moment so bedroht wie nie zuvor. Das weltweit fehlende Mitgefühl mit israelischem Leid schmerzt. Die Mehrheit hierzulande schweigt oder es heißt: „Ja, aber …“. Die Hamas treibt Israel im Kampf der Bilder in ein vielleicht unlösbares Dilemma. Wahrscheinlich war das Teil des Plans. Und das macht meine Angst um dieses kleine Land so groß.

Blickwinkel

Manche wissen ganz genau Bescheid,

beurteilen und bewerten Menschenleid

Wessen Tränen sind gespielt, nicht echt?

Wer darf sich verteidigen? Wer hat Recht?

Parolen gehen leichter von der Hand,

hat man die „Wahrheit“ erst einmal erkannt.

 

Manche wissen nicht genau Bescheid,

sie blicken fragend auf das ganze Leid

Bei dem Versuch, Antworten zu finden,

bemühen sie sich, Vorurteile zu überwinden

Sie sollten öfter ihre Stimme heben,

denn ihre Haltung könnte Hoffnung geben.

Ich bin tief erschüttert, nicht nur wegen der Situation in Deutschland, sondern auch weltweit. Unverständlich ist mir nach wie vor, warum man diesen politischen Konflikt immer wieder hierherbringen muss. Alle behaupten,
sie dürfen ihre Meinungen nicht äußern, aber warum werde ich dann ständig mit solchen ekelhaften Ansichten konfrontiert? Hass und Gewalttaten gegen Juden in der Diaspora werden relativiert oder sogar gerechtfertigt unter dem Mantel des „Nahostkonflikts“. Schon diese irrsinnige Bezeichnung impliziert, dass alle Probleme in der Region auf den einzigen jüdischen Staat zurückzuführen sind. Ein Damm ist gebrochen, und ich glaube, die Situation für Juden weltweit wird nur noch schlimmer. Ich frage mich wirklich, welches Land für uns noch sicher ist. 

Seit dem 7. Oktober 2023 wird der Nahe Osten von einer Welle der Gewalt erschüttert. Seit dem Angriff der islamistischen Terrororganisation Hamas auf Israel haben Tausende Menschen in Israel und im Gazastreifen
ihr Leben verloren. Viele befinden sich nach wie vor in Geiselhaft. Andere sehen, wie ihre Kinder vor ihren Augen ermordet werden und bleiben ein Leben lang traumatisiert. Jeden Tag schauen wir zu, wie die Chancen auf ein friedliches zukünftiges Zusammenleben im Nahen Osten schwinden – wir sind Augenzeugen und wir leiden mit. Mitleid zu haben mit allen Opfern der Gewalt, ob jüdisch oder arabisch, ob israelisch oder palästinensisch – das ist das Mindeste, was wir im Moment tun können. Alles andere wäre unmenschlich. Und wir dürfen nicht der Polarisierung nachgeben, die sich im Moment auch in unserer Gesellschaft 
hier in Deutschland ausbreitet: Als Jüdinnen und Juden sind wir eine religiöse Minderheit, die sich nicht gegen eine andere religiöse Minderheit ausspielen lassen darf. Der Zusammenhalt von jüdischen und muslimischen Bürger:innen in Deutschland ist aktuell wichtiger denn je. Nur zusammen können wir dem wachsenden Nationalismus und Rechtspopulismus widerstehen und die Demokratie in unserer Gesellschaft stärken.

Am 7. Oktober wurden Säuglinge, Kinder, Frauen, Männer, ganze Familien, Überlebende der Shoah vergewaltigt, ermordet, geschändet. Über 200 Menschen als Geiseln entführt und bis heute festgehalten. Der Schock, das Entsetzen, die Hilflosigkeit darüber sitzen tief.

Das Erschreckendste und gleichzeitig Ernüchterndste im Zusammenhang mit den Ereignissen am 7. Oktober ist, zu sehen, in welcher ohrenbetäubenden Weise zu den Gräueltaten des Massakers an der israelischen Zivilbevölkerung in großen Teilen geschwiegen wird und wurde.

 

Gleichzeitig zu erleben, mit welcher Selbstverständlichkeit wieder antisemitische Äußerungen, Parolen und Anfeindungen geäußert werden, erzeugt ein beklemmendes Gefühl. Zu wissen und zu erleben, dass aus Worten Taten werden können, lässt einen vorsichtiger im Umgang mit seinen Mitmenschen werden.

Die Gedanken und Reflexionen in Folge und nach dem 7. Oktober gehen auch bei mir in viele Richtungen. Ich bleibe im Folgenden auf der Ebene der Menschen und ihren Emotionen. 

Ich stelle mir die Frage, wie Überlebende, wie Angehörige und Freund:innen der Opfer mit allem weiter leben können, wie damit, dass die Mörder, die diese Bestialitäten verübt haben, eben kaum einer gerechten Strafe zugeführt werden können? Wie können Menschen damit leben?

Was werden alle Geschehnisse mit der israelischen Gesellschaft machen, mit ihrer inneren Verfasstheit, um nicht Seele zu sagen, mit ihrem Blick auf die Welt? Wie sehr wird Israel noch weiter in eine ungute rechte Ecke rücken? Welche innere Zerreißprobe könnte vertieft werden, welches Hin- und Hergerissen-Sein aber auch gerade bei jenen, und es sind nicht wenige in Israel, die für ein universales Weltbild, für Zugewandtheit Anderen gegenüber, für Offenheit stehen und weiter darum ringen? Und dies tun und dafür eintreten in einem Kontext, in dem persönliche und allgemeine Sicherheit eben kein solches Given ist wie in Deutschland oder Europa. In dem die Menschen Angst haben müssen um ihre Kinder in der Armee. Nicht zuletzt haben sie, hat das Land die Shoah im Gepäck, die gleichzeitig Sicherheit und Verteidigung zu einem überragenden Wert werden ließ. Ich wünsche mir von vielen Menschen weltweit und in Deutschland mehr Verständnis für all dies, das stärkste Bemühen darum, diese Lebenssituationen und Emotionen nachvollziehen zu wollen, ich wünsche mir Empathie. Diese sollte vor dem Urteilen, vor allem dem Aburteilen kommen.

Und auch wenn die israelische Seite mir biografisch und emotional deutlich näher ist: Ich will nicht 
gedrängt
sein zu einem Bekenntnis, dass ich für Israel und damit gegen Palästina bin. So schlicht sind die Dinge nicht und ich bin keinesfalls gegen „die“ Menschen in Palästina und bei aller Solidarität keinesfalls für alle Denkweisen oder Handlungen gerade dieser israelischen Regierung. Das Leid der Menschen in Gaza nachzuvollziehen und auch hier hinzusehen, sind wir als Menschen schuldig und diese Menschlichkeit dürfen wir nicht aufgeben. Eine politische Lösung ist dies noch lange nicht, das ist klar. Zu dieser aber: Ich wünsche mir, dass Menschen in Deutschland bereit sind, die Komplexität der politischen Situation auszuhalten und dass sie es sich selbst nicht leicht, sondern sehr sehr schwer machen mit ihren Urteilen.

Empfehlen Sie uns!