geraubt und genutzt

kuratiert von Maria Winkler und Peter Prölß,
Idee Dr. Hermann Simon und Annette Gerlach

Maria Winkler, Peter Prölß

geraubt und genutzt

In deutschen Bibliotheken befinden sich noch immer Bücher, die ihren Eigentümern während der NS-Herrschaft geraubt wurden.

Nach den Deportationen blieben die Bücher meist in den verlassenen Wohnungen zurück, wurden zusammen mit dem übrigen Hausrat beschlagnahmt und danach verwertet. Auch die Bibliotheken verbotener Parteien, Logen und Vereine wurden von den NS-Behörden eingezogen. In den besetzten Ländern plünderten Rauborganisationen systematisch. Deutsche Bibliotheken profitierten davon unmittelbar, in dem sie das Raubgut wie selbstverständlich in ihre Bestände einfügten.

Die vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien geförderte Ausstellung    geraubt und genutzt zeigt an ausgewählten Beispielen die Wege geraubter Bücher und erzählt die Geschichten ihrer rechtmäßigen Eigentümer und deren Nachkommen. Die Zentral- und Landesbibliothek Berlin und die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum geben einen Einblick in das noch junge Arbeitsfeld der Provenienz-Recherche zu NS-Raubgut in deutschen Bibliotheken.

Maria Winkler, Peter Prölß

geraubt und genutzt

NS-Raubgut in Bibliotheken

Die Bücher der im Nationalsozialismus verfolgten, vertriebenen und ermordeten Menschen befinden sich noch immer in den deutschen Bibliotheken. Die geraubten Bücher unterscheiden sich auf dem ersten Blick nicht von legal erworbenen – doch die darin enthaltenen Spuren wie Stempel, Autogramme, Exlibris und Widmungen erzählen die Geschichten der Bücher und ihrer Eigentümer. Diese Hinweise zu finden, zu entschlüsseln und zu dokumentieren sind Aufgabe der Provenienzforschung.

Unmittelbar mit der Machtübertragung am 30.Januar 1933 beginnt das NS-Regime mit der systematischen Ausgrenzung und Verfolgung der als Gegner betrachteten Menschen und Gruppierungen. Die Verfolgung richtet sich vor allem gegen jüdische Menschen, die aus dem wirtschaftlichen, kulturellen und öffentlichen Leben verdrängt werden. Stetig erhöht das NS-Regime den Druck: Berufsverbote, Zwangsverkäufe bis hin zu brutalen Übergriffen und Mord. Zur Emigration gezwungene Menschen müssen ihr Hab und Gut weit unter Wert verkaufen oder zurücklassen. Die in Deutschland Verbliebenen sind gezwungen ihr Eigentum zu verschleudern, um diskriminierende Steuern und Abgaben zu bezahlen oder das tägliche Überleben zu sichern.

Am Ende der Verfolgung stand nach Entrechtung und Enteignung die Deportation und Ermordung der Menschen. Von diesem Raubzug, der sich mit Kriegsbeginn über fast ganz Europa ausdehnt, profitierten die deutschen Bibliotheken.

„Faire und gerechte Lösungen“
Über den Umgang mit NS-Raubgut in Deutschland

NS-Raubgut bezeichnet im weitesten Sinne entzogenes Kulturgut von Menschen und Institutionen, die aus politischen, rassistischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen während der NS-Diktatur verfolgt wurden. Es wurde durch Beschlagnahmung, Enteignung oder Verkauf unter Zwang entzogen.
Dazu gehören neben Kunstwerken auch Bücher. Der monetäre Wert ist dabei unerheblich. Bücher sind wichtige Zeugnisse persönlicher Erinnerungen und tragen Spuren ihrer Besitzer.

1998 stellten 44 Staaten, darunter Deutschland, auf der Washingtoner Konferenz elf Grundsätze über den Umgang mit „während der NS-Diktatur entzogenen Kulturgüter[n]“ auf. Die Eigentümer oder deren Erben sollen ermittelt und „faire und gerechte Lösungen“ gefunden werden. Ein Jahr später legte Deutschland die „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vor. Darin heißt es: „Das Rückerstattungsrecht und das allgemeine Zivilrecht der Bundesrepublik Deutschland regeln damit abschließend und umfassend die Frage der Restitution und Entschädigung.“

Die öffentlichen deutschen Museen, Archive und Bibliotheken sollen zur Auffindung „NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter“ beitragen.
Sowohl die Washingtoner Erklärung als auch die gemeinsame Erklärung Deutschlands sind rechtlich nicht bindend. Bis heute bleibt es den jeweiligen Einrichtungen selbst überlassen, diese Erklärungen umzusetzen.

Maria Winkler, Peter Prölß

NS-Raubgut in der
Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum

Der gesamte Buchbestand der Jüdischen Gemeindebibliothek Berlin gilt – von wenigen Ausnahmen abgesehen – als im Krieg verloren.

Erst 1959 wurde mit dem Neubau des Gemeindehauses in der Charlottenburger Fasanenstraße 79-80, auch mit dem Neuaufbau einer Gemeindebibliothek begonnen. Die Jüdische Gemeinde in Ost-Berlin begann 1977 mit dem Aufbau einer Bibliothek am historischen Ort in der Oranienburger Straße 28-29. Nach der Vereinigung der Gemeinden im Jahr 1989 wurden auch die beiden Bibliotheken zusammengelegt.

Die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum begann 1988 mit dem Aufbau einer eigenen Institutsbibliothek. Die Berliner Stadtbibliothek (BStB) gab 1988 und 1994 Judaica, in deutscher, jiddischer und hebräischer Sprache an die Stiftung ab, die zweifelsfrei Raubgut enthielten, darunter solche aus dem Ankauf von 1943 und Lieferungen der Bergungsstelle. In diesen Büchern finden sich Spuren der Verfolgten wie Exlibris, Stempel und Widmungen. Seit Juni 2011 überprüft das CJ diese Bestände. Dabei arbeitet die Stiftung eng mit der ZLB zusammen, indem sie die Exemplare, darin enthaltene Spuren und Recherchen zu den Vorbesitzern in der Datenbank der ZLB erfassen. Durch die Kooperation, dem unmittelbaren Austausch und Zugriffsmöglichkeit auf die Forschungsergebnisse, konnten zahlreiche Bücher ihren rechtmäßigen Eigentümern zugeordnet werden.

Maria Winkler, Peter Prölß

Geraubt und Verschollen
Die Bibliothek der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

Nach dem Novemberpogrom 1938 wird die Gemeindebibliothek, in der Oranienburger Straße 29, von der Gestapo beschlagnahmt. Die Bibliotheksräume nimmt das Reichssippenamt für sich in Anspruch.

Berthold Breslauer (1882 – 1948), Archivar der Berliner Jüdischen Gemeinde, erinnert sich:

„Die Jüdische Gemeinde […] besass eine Bibliothek, die der allgemeinen Bildung ihrer Mitglieder diente und eine ausserordentlich wertvolle Literatur der gesamten Wissenschaft des Judentums enthielt. Diese Bibliothek wurde im November 1938 von der Gestapo beschlagnahmt. Ihre gesamten Bücherbestände, ungefähr 70000 Bände, nebst sämtlichen Regalen und Katalogschränken, wurden in das Reichssicherheitshauptamt, Berlin [Schöneberg], Eisenacher Strasse 11/13 überführt und gelangten dort als Teil einer jüdischen Spezialbibliothek zur Aufstellung.“

Der Buchbestand der Jüdischen Gemeindebibliothek Berlin gilt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, als im Krieg verloren. Breslauer wird nach der Befreiung beauftragt, „mit den zuständigen Dienststellen über die Rückführung der früher in jüdischem Besitz befindlichen Bibliotheksbestände und Archivalien zu verhandeln“. Er bemüht sich u. a. beim „Offenbach Archival Depot“, der Hauptsammelstelle geraubter jüdischer Bibliotheken, Archive und jüdischer Ritualgegenstände, Ersatz für die Gemeindebibliothek zu beschaffen. Diese Bitte lehnt das Offenbacher Depot ab.

Was bleibt zu tun?
Provenienzforschung in der Zentral- und  Landesbibliothek und
der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum

In Bibliotheken befinden sich noch immer Bücher, die ihren rechtmäßigen Eigentümern zwischen 1933 und 1945 entzogen wurden. Jedes vor 1945 gedruckte Buch unklaren Zugangs ist zunächst verdächtig. Allein in der Landesbibliothek (ZLB) müssen weit über 200000 Bücher überprüft, verzeichnet und ausgewertet werden.

Im Rahmen eines von der Arbeitsstelle für Provenienzrecherche/ -forschung (AfP) und dem Berliner Senat geförderten Projekts wurden in der ZLB zwischen November 2009 und Januar 2013 über 45000 Exemplare und 50000 Zeitschriftenbände auf Spuren von Vorbesitzern überprüft. Das Centrum Judaicum hat, ebenfalls in einem AfP geförderten Projekt, seit Anfang 2012 tausende Bücher überprüft. Über 10000 Exemplare wurden in einer gemeinsamen Datenbank als verdächtig aufgenommen. Diese enthalten über 18000 einzelne Spuren mit den Namen von knapp 4000 Personen und Körperschaften. Um diese zu finden werden verschiedenste Quellen ausgewertet: Akten, Telefon- und Adressbücher, Datenbanken und Verzeichnisse über die Opfer der Verfolgung, die Ergebnisse anderer Forschungsprojekte, aber auch Lebenserinnerungen und Publikationen über Verfolgte. Angesichts der Menge gefundener Namen, ist dies durch eigene Forschung nicht zu bewältigen: in den Magazinen der ZLB befi nden sich die Bücher zehntausender Verfolgter. Das Centrum Judaicum und die ZLB setzten die Suche und Restitution von NS-Raubgut trotzdem fort. Bis April 2013 konnten von der ZLB 330 Bücher und Exlibris an 19 Institutionen und 62 an die Erben von 20 Verfolgten übergeben werden. Das Centrum Judaicum konnte sechs Bücher an die Erben von Verfolgten und fünf an Institutionen übergeben. Viele geraubte Bücher werden, trotz aller Anstrengungen, nicht zurückgegeben. Es fehlen Spuren, sie sind nicht entschlüsselt oder es werden keine Eigentümer und Erben gefunden. Diese Bücher verbleiben als Mahnung in den Beständen der Bibliotheken

Die Ermittlung und Rückgabe von NS-Raubgut wird die Archive, Museen und Bibliotheken über Jahrzehnte beschäftigen. Provenienzforschung, besonders Raubgut-Forschung, ist ein junges Forschungsgebiet: viele Methoden und Werkzeuge müssen erst noch entwickelt werden. Im Rahmen von befristeten Projekten kann diese Aufgabe nicht geleistet werden. Sie bedarf der Kontinuität und muss als eigenständiges Arbeitsgebiet in den kulturbewahrenden Einrichtungen verankert werden. Tausende Fälle warten auf Aufklärung. Um von den Verfolgten und deren Erben gefunden zu werden, veröffentlichen die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum und die ZLB alle Bücher, deren Spuren und die Namen der Website der ZLB unter: www.ZLB.de/raubgut und in der zentralen deutschen Datenbank für Raub- und Beutegut der Koordinierungsstelle Magdeburg unter: www.lostart.de

Good to know.

Weitere Informationen zur Ausstellung

Die Ausstellung Momente einer einzigartigen Beziehung war an folgenden Orten zu Gast:

In Kooperation mit

Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien
Weitere Vergangene Ausstellungen

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