Beitrag: Das Trauma des 7. Oktober

Bring them Home an den Portaltüren der Neuen Synagoge

Das Trauma des 7. Oktober

Sechs Monate sind seit dem Massaker der Hamas vergangen. Die Erschütterung, das Trauma bleibt und mehr als 100 Geiseln sind weiter in den Händen der Terroristen. Wir zeigen daher nach wie vor am Eingang zu unserer Dauerausstellung einen Videofilm zu #BringthemHome mit einer Angehörigen von Verschleppten. Eine kurze Botschaft, die für unendlich viel Unbeschreibliches steht. Was hat dieses Video mit uns und unserer Arbeit zu tun, da wir ja eigentlich vor allem jüdische Geschichte und Gegenwart vermitteln, mit Fokus auf Berlin? Für manche auf den ersten Blick nicht viel und es spricht einiges dafür, Nahost und insbesondere israelisches Regierungshandeln nicht mit Berliner jüdischer Gegenwart zu vermischen – denn zu oft werden Jüdinnen und Juden in Deutschland für Dinge verantwortlich gemacht, die nicht und schon gar nicht zwangsläufig die ihren sind. Und doch beeinflussen die öffentlichen Diskurse um Israel und Nahost auch unsere Arbeit: Sie sind uns allen inklusive unseren Besucher:innen präsent, sie stehen zweifellos in Verbindung mit israelbezogenem Antisemitismus, der immer klarer hervortritt – was keinesfalls bedeutet, dass wir andere Antisemitismen insbesondere aus dem rechtsextremen Spektrum kleiner reden.

Der israelbezogene Antisemitismus und in schwächerer Form anti-israelische Ressentiments sind gerade heute eine eklatante Herausforderung. Ebenso herausfordernd ist, wenn der Kampf gegen Antisemitismus und der Kampf gegen Rassismus als Konkurrenz wahrgenommen werden. Da ist bei vielen im Kulturbereich die Haltung, den Kampf „nur“ gegen Antisemitismus als (zu) etabliert, jedenfalls als Teil eines rechtskonservativen Kanons, sogar als nicht so ganz legitim einzuordnen. Das eine und das andere Phänomen ist nicht neu, nur stärker als zuvor – und enttäuschender. Die Ursachen von beidem haben mit der Situation in Nahost, aber auch mit Zuschreibungen und Selbstbildern zu tun. Was treibt Menschen in Deutschland an, wenn sie Israel in klarster Eindeutigkeit verurteilen und spezifische Standards anlegen? Schmerz und Trauer nach dem 7. Oktober zu sehen und Raum zu lassen, dafür steht das genannte Video. Erstmal ist dieser Schmerz, ist dieses Trauma anzuerkennen ohne Wenn und Aber. Genau dies fällt vielen offensichtlich schwer. Wo bleibt bei ihnen die notwendige Selbst-Hinterfragung, wo bleibt, sich die eigenen Urteile schwer zu machen, sich emotional hineinzuversetzen – ein anderes Wort für Empathie. Warum sehen manche die Dilemmata und Kontexte so wenig, warum scheinen ihnen die Dinge so einfach? Sie sind es nicht und sie sind es für Jüdinnen und Juden in Deutschland nicht, genauso wenig wie für viele Israelis, die oft genug ihre eigene Regierung höchst kritisch sehen (so wie die Verfasserin), intensive Diskussionen führen und Ambivalenzen aushalten – müssen. Viele Jüdinnen und Juden fühlen sich heute unverstanden von weiten Teilen der Gesellschaft in Deutschland, fühlen eine Kluft wie sie jahrzehntelang nicht mehr bestand.

Wir hier in Berlin laden in dieser Zeit nur umso mehr dazu ein, jüdische Perspektiven und Erfahrungen in Geschichte und Gegenwart kennenzulernen, sich darüber Gedanken zu machen. Dass wir immer wieder Bezüge zu anderen „Anderen“ herstellen und sämtlicher gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit entgegentreten – müssen wir dies eigens betonen? Jegliche Gegenüberstellung von Jüdinnen/Juden auf der einen versus weitere Minderheiten auf der anderen Seite ist jedenfalls nicht unsere Sache.

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