Überlebende – Survivors - ניצולים
Fotografien von Aliza Auerbach

30.08.2010 – 21.01.2011
kuratiert von Dr. Chana Schütz

Dr. Frank-Walter Steinmeier

Überlebende – Survivors -ניצולים

Sie kamen „von dort“ und waren nur knapp der nationalsozialistischen Mordmaschinerie entronnen: Überlebende der Schoa aus den verschiedenen Ländern Europas und Nordafrikas. Sie alle waren jung und entschlossen, nach ihrer Befreiung in Israel zu leben. Hier gründeten sie Familien und bauten sich ihr Leben auf. Heute sind sie alt, viele von ihnen Urgroßmütter und Urgroßväter.

Die Fotografin Aliza Auerbach hat sie besucht, einzeln und als Paare fotografiert und sie haben ihre ganz persönliche Geschichte erzählt. Alle Lebensberichte sind geprägt von den Erfahrungen von Verlust, Erniedrigung und Hunger, vom Überlebenskampf in den Lagern und vom Tod nächster Angehöriger. Doch am Ende bleibt die feste Überzeugung, dass allein die Gründung einer eigenen Familie die Antwort auf Hitlers Vernichtungsversuch darstellt, in dem sich der Überlebenswillen und das Wunder der Kontinuität manifestieren.

Dr. Frank-Walter Steinmeier

Überlebende – Survivors -ניצולים

Mit den fast lebensgroßen Familienbildern, auf denen Kinder, Enkel und Urenkel wiederum mit ihren Familien zu sehen sind, entsteht damit ein überaus eindrucksvolles Gesamtbild des heutigen Israels. Es gibt Familien mit nur zwei Kindern und zwei Enkeln und solche, die mit vielen Kindern und noch mehr Enkeln und Urenkeln gesegnet sind. Strengreligiöse Familien und säkulare sowie Familien, die in Kibbutzim leben.

Nicht selten leben Religiöse, Säkulare und Ultraorthodoxe Seite an Seite, immer sind es Kinder derselben Eltern! Wie die 87 Jahre alte Shulamit Catane, die wir im Kreise ihrer 140 Urenkel, 81 Enkel und 11 Kinder sehen. Doch immer bleibt der vor langer Zeit erlittene Schmerz bei jedem Einzelnen präsent wie in den Gegenständen, die sie gerettet und aufbewahrt haben: Sachzeugen für die Heimstatt, die zerstört wurde. Wie Eisenbahngleise im Schnee, die schon lange ein Symbol für die Schoa sind. Aliza Auerbach hat sie fotografiert und sie erwecken den Eindruck als seien sie „von dort“. Doch es sind stillgelegte Gleise, die sie mitten im Jerusalemer Winter fotografiert hat.

Überlebende – Survivors -ניצולים
Fotografien von Aliza Auerbach

Aliza Auerbach, 1940 in Haifa geboren, studierte von 1960 bis 1964 Philosophie und Religionsgeschichte an der Hebrew University Jerusalem. Sie begann Anfang der sechziger Jahre mit Portraitaufnahmen ihre fotografische Arbeit, als professionelle Fotografin ist sie seit 1972 tätig. Bis 1989 war sie als Standfotografin für internationale Filmproduktionen (u.a. für Gregory Peck, Richard Widmark, Oliver Reed, Roy Scheider und W. Friedkin) engagiert. Seit 1989 erschienen in Israel fünf Fotobände von ihr. Ausstellungen in New York, Berlin, Prag und Jerusalem zeigten ihr Werk. Sie wurde mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnet.

Aliza Auerbach lebt in Jerusalem.

Joshua Tessler – Rumänien

Ich wurde im Jahre 1921 in Tschernowitz als Kind meiner Eltern, Schejndl-Jaffa geb. Moskowitz und Jirmijahu Tessler geboren. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges gehörte Tschernowitz zu Siebenbürgen und geriet danach unter rumänische Herrschaft. Meine Familie beschäftigte sich mit der Herstellung und Vermarktung von Wein und Spirituosen. Unsere Kleidung war europäisch, doch waren wir Schüler und Anhänger des Rabbi Joel, dem Satmerer Rabbi. (Begründer einer wichtigen chassidischen Bewegung, Anm. d. Red.) Im Jahre 1929 zogen wir nach Cluj (dt. Klausenburg) in die Hauptstadt Siebenbürgens. 1940, nach der Kapitulation Frankreichs wurde Rumänien durch den sogenannten Zweiten Wiener Schiedsspruch von Deutschland gezwungen, diesen Teil von Siebenbürgen an Ungarn abzutreten, als Belohnung für das Bündnis mit Deutschland. Das ungarische Regime war antisemitisch und es wurden immer mehr Gesetze gegen die Juden erlassen. Im Jahre 1942 verlobte ich mich mit Esther (Elisabeth) Hellmann. Ihre Familie besaß eine der größten Bäckereien in Cluj (dt. Klausenburg). Das Familienoberhaupt war dafür vom rumänischen König ausgezeichnet worden, was später zu Verfolgungen seiner Person und seines Unternehmens von Seiten der ungarischen Behörden führte.

Joshua Tessler – Rumänien

Am 19. März 1944 versteckte meine Familie die Thora-Bücher ( mein Vater hatte die im Vilnius-Druck gefertigten einzelnen Blätter der Bibel künstlerisch binden und mit einem prächtigen Ledereinband versehen lassen), andere Haushaltsgegenstände und Kleider im Keller unseres Hauses, der vorher zur Lagerung von Materialien zur Herstellung von Spirituosen gedient hatte. Der Eingang wurde mit Zement verschlossen. Am 3. Mai 1944 zog die Familie in das Ghetto von Cluj, das auf dem Gelände einer Fabrik für Baumaterialien eingerichtet worden war. Das Leben im Ghetto war die Hölle. Jede Familie erhielt 4 qm zum Wohnen. Das Wasser musste in Eimern von außerhalb geholt werden. Gemeinschaftstoiletten gab es nur in einer Grube am Rande des Ghettos. Das Ergebnis war, dass wir uns nach einem Monat unter derart miserablen Bedingungen alle bereitwillig zum Transport nach Auschwitz meldeten. Wir dachten, dass es schlimmer nicht kommen könnte. Am 3. Juni 1944 wurde die ganze Familie nach Auschwitz deportiert. Nach einer Woche kamen mein Vater, der Rabbiner Jirmijahu Tessler und ich in ein Arbeitslager in Kaufering, Bayern. Meine Großmutter väterlicherseits, meine Großmutter mütterlicherseits, der jüngere Bruder und die jüngere Schwester meiner Mutter und meine Onkel und Tanten väterlicherseits mit ihren Kindern, alle wurden in die Gaskammern geschickt.

Joshua Tessler – Rumänien

Im Juli 1944 gelangte eine Gruppe von Überlebenden aus dem Ghetto Kaunas, das zuvor aufgelöst worden war, in das Lager Kaufering. Wegen der eiligen Räumung besaßen diese Leute einige persönliche Gegenstände und kamen in ziviler Kleidung ins Lager. (Das heißt, sie waren nicht durch Auschwitz gegangen, ihre persönliche Habe wurde ihnen nicht abgenommen, und sie trugen keine Häftlingskleidung.) Auf Anregung meines Vaters, fragte ich einen der „Neuen“ , er hieß Abramowitz seligen Angedenkens (er hat nicht überlebt), ob einer von ihnen ein Paar Teffilin (Gebetsriemen für das Morgen und Abendgebet, Anm. d. Red.) bei sich hätte. Abramowitz erkundigte sich und gab mir am nächsten Tag Antwort. Tatsächlich gab es ein Paar Teffilin, die im Untergrund im Ghetto Kaunas gefertigt worden waren. Der Besitzer war bereit, sie zu verkaufen. Falls „es ihnen beschert sei“, werde man das Geschäft vollziehen. Am nächsten Tag trafen sie sich und das Geschäft kam tatsächlich zustande. Mein Vater und ich erhielten die Teffilin zum Preis unserer Tagesration: zwei Portionen Brot. Die Teffilin dienten uns bis zum Ende des Krieges. Dutzende Menschen, die meisten nicht aus religiösen Gründen, legten sie an, wann auch immer es möglich war, und sprachen das „Schma Israel“ oder sahen anderen dabei zu, wenn sie sie anlegten. Alles musste natürlich im Verborgenen geschehen, während jemand am Eingang der Baracke aufpasste. Dies war ein Ausdruck des „menschlichen Antlitzes“, das wir zu bewahren versuchten. Im April 1945 wurden wir von der amerikanischen Armee in Allach, Außenlager von Dachau, befreit. Nach mühseliger Reise und nur mit Hilfe der Brigade erreichten wir ein militärisches Lager in der Nähe von Venedig. Dort bekam ich die Nachricht, dass auch meine Verlobte gerettet worden und mit dem Rest ihrer Familie nach Cluj zurückgekehrt war. Auch ich kehrte nach Cluj zurück und wir heirateten dort am 12. August 1945. Bei unserer Hochzeit trug ich einen Anzug, der im Keller unseres Hauses aufbewahrt worden war. Auch die Thora-Bücher und der übrige Hausrat wurden unversehrt gefunden. Im Jahre 1948 wurde unsere ältere Tochter Ante-Zippora in Cluj geboren. Im September 1958 wanderten wir in Israel ein. Wir folgten meinem Vater Jirmijahu, der bereits seit 1950 in Jerusalem wohnte. Wir selbst hatten damals von den rumänischen Behörden keine Erlaubnis bekommen, zusammen mit meinem Vater auszuwandern. Mein Vater gründete in Jerusalem die Getränkefabrik „Attas“. Auch ich stieg später in das Unternehmen ein und führte es zusammen mit meinem Vater. 1959 wurde unsere jüngere Tochter Rachel geboren. 1969 heiratete unsere ältere Tochter Zippora Shai Lurie seligen Angedenkens, geboren in Javne’el, Mitglied des Kibbutz Tirat-Zwi, dessen Familie bereits in der fünften Generation im Lande lebt. Unsere jüngere Tochter Rachel heiratete 1973 Jaakov Chalamish, Mitglied des Kibbutz Ein-Hanatziv, Sohn von in Deutschland geborenen Eltern, die 1933 ins Land eingewandert waren.

Alles in allem haben wir 12 Enkel und 5 Urenkel.
In Rente ging ich 1991. Als meine Frau erkrankte, übernahm ich den ganzen Haushalt.
Am 13. Februar 2006 ist sie verstorben.
Ich bin weiterhin aktiv in meiner Synagoge und lerne in Lerngemeinschaften die Thora und genieße meine Familie.
Joshua Tessler, Jerusalem

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