Unter dem Trauhimmel – Heiraten im Jüdischen Berlin

16.08.2021 – 25.01.2022

kuratiert von Anna Fischer, Chana Schütz, Sabine Hank und Barbara Welker

Unter dem Trauhimmel

Heiraten im Jüdischen Berlin

Seit 1995 sind die Berliner Jüdische Gemeinde als Religionsgemeinschaft und die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum als Forschungsort mit Ausstellungen und einem Archiv unter dem Dach der ehemaligen Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße vereint. Gemeinsam bewahren sie das Erbe und die Erinnerung an die Berliner Jüdinnen und Juden und ihre Gemeinde, die vor 350 Jahren, im September 1671, mit der Zuwanderung einiger aus Wien vertriebenen Familien, gegründet wurde.

Den Mittelpunkt dieser Ausstellung, die das Heiraten im Jüdischen Berlin in den letzten 150 Jahren thematisiert, bildet der prächtige Hochzeitsbaldachin (Hebräisch Chuppa), der nach dem 10. November 1938 aus der gebrandschatzten und zerstörten Synagoge in der Prinzregentenstraße in Berlin-Wilmersdorf gerettet wurde: der kostbare Trauhimmel ist das Sinnbild für die fast vollständige Zerstörung jüdischen Lebens durch die Nationalsozialisten und gleichermaßen für das Überleben der jüdischen Gemeinschaft und deren ununterbrochene Präsenz in der Mitte Berlins.

Hochzeitsbaldachin

Im Judentum ist die Ehe die heilige Verbindung von Mann und Frau (Genesis 2, 24). Sie ist die Grundlage der Familie und sichert das Fortbestehen der jüdischen Gemeinschaft. Die Braut ist mit einem Schleier „bedeckt“, in Erinnerung an die Stammmutter Rebekka (Genesis 24, 65). Sie wird von den beiden Müttern, der Bräutigam von den beiden Vätern unter den Hochzeitsbaldachin geführt. Der Höhepunkt der Zeremonie stellt das traditionell übliche Anstecken des Ringes an den Zeigefinger der rechten Hand der Braut durch den Bräutigam dar, der dabei spricht: „Hare at mekudeschet li betabaat kedat mosche wejisrael“ (Sei du mir angeheiligt durch diesen Ring nach dem Gesetze Moses und Israel). Es folgt die Verlesung der Ketubba, der Heiratsurkunde, die von zwei Zeugen unterschrieben wird. Nach den letzten Segensprüchen und dem Trinken von Wein aus einem gemeinsamen Becher, wünschen alle „Mazal tow“, wobei der Bräutigam, als Ausdruck eines Dämpfers in der größten Freude, in Erinnerung an die Zerstörung des jüdischen Tempels in Jerusalem, ein Glas zertritt.

 

Traditionell findet eine jüdische Hochzeit unter freiem Himmel statt. Mit der Angleichung von jüdischen Gemeinden und christlichen Konfessionen im 19. Jahrhundert, war es in Deutschland üblich, Hochzeiten in Synagogen abzuhalten.  Seit dem Bau der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße, 1866, gab es in den großen Berliner Gemeindesynagogen eigens dafür eingerichtete Trau-Säle, so auch in der Synagoge in der Prinzregentenstraße in Berlin-Wilmersdorf, erbaut 1930 und Berlins einzigem Synagogen-Großbau während der Weimarer Republik. Die mit Goldfäden bestickten Schabracken entlang der vier Seiten nehmen die dekorative Bemalung der Wände über den Frauen-Emporen der Synagoge sowie entlang des zentralen Kuppelgewölbes auf. Den Mittelpunkt des quadratischen Trauhimmels aus hellblauem Samt, bildet der Davidstern, eingefasst mit einem Band aus Myrten-Zweigen, Kelch-Blüten sowie zwei verschlungenen Ringen.

Chana Schütz

Die liberale Synagoge Prinzregentenstraße 69-70

1913 erwarb die Jüdische Gemeinde zu Berlin das Grundstück in der Prinzregentenstraße im damaligen Berliner Vorort Wilmersdorf; der Erste Weltkrieg verzögerte die Bauarbeiten. Nach 1920 legte der Gemeindebaumeister Alexander Beer mehrere Entwürfe vor; die schließlich realisierten Pläne sahen statt eines Hallenbaus einen runden Zentralbau vor, der von einer Kuppel mit freitragender Betonkonstruktion überdacht war. In einem Riegel an der Straßenfront befanden sich im Erdgeschoss der Trausaal und die Wochentagssynagoge, in den übrigen Etagen die Religionsschule, Bibliothek sowie Wohn- und Verwaltungsräume. Die Baukosten für den 1928-1930 errichteten Bau betrugen 1,2 Millionen Mark. Die Synagoge mit 2.000 Sitzplätzen wurde am 16. September 1930 eingeweiht – eine Woche vor Rosch Haschana 5691.

Nur acht Jahre später wurde das Gebäude während der Pogrome am 9./10. November 1938 durch Feuer stark beschädigt, der Synagogenraum brannte vollkommen aus. 1941 musste die Jüdische Gemeinde das Grundstück an die Reichshauptstadt Berlin verkaufen. 1958 erfolgte der Abriss der Ruine, heute stehen hier Wohnhäuser.

Im Archiv des Centrum Judaicum gibt es einen Nachlass von Rabbiner Leo Baeck (1873-1956), der zur Einweihung 1930 die Festpredigt hielt. Im Vorfeld des Baus verfasste er eine Stellungnahme zu der offenbar in der Gemeinde diskutierten Frage, wie in der zu erbauenden Synagoge die Männer- und Frauenplätze anzuordnen seien. Auf fünf Seiten wägt er Fragen der Tradition und der Religionsgesetze und moderne Anforderungen, vor allem die veränderte Rolle der Frau in der Gesellschaft und das Bedürfnis, “im Gotteshause in der Nähe der Lieben zu sein”, ab, um schließlich die Empfehlung zu geben, dass in der neuen Synagoge als ein Versuch “eine Anordnung der Plätze geschaffen werde, [die] dem Wunsch nach gemeinsamen Familienplätzen in geeigneter und liberaler Weise Rechnung trägt” – ansonsten aber solle “die in den Betsälen üblich gewordene Art einer besonderen Abteilung für Männer und Frauen” beibehalten werden. Dass diese Familienplätze tatsächlich angelegt wurden, beweist ein Fund in einem weiteren Nachlassbestand des Archivs: Platzkarten für vier nebeneinanderliegende Sitze auf der Empore der Synagoge Prinzregentenstraße – ausgestellt für Wilhelm Graetz (1879-1974), der Mitglied des Vorstands der Jüdischen Gemeinde war.

(Barbara Welker)

Berlin, 12. Dezember 1941

Hochzeitsfoto von Hilde und Helmut Gerson

Berlin, Freitag, der 12. Dezember 1941. Hilde und Helmut Gerson treten als frisch vermähltes Paar aus dem Standesamt Berlin-Wedding in der Lütticher Straße 37 vor die Kamera. Sie stehen mit ihren Trauzeugen auf der Straße, alle in leicht festlicher Kleidung, die Braut hält ihren Brautstrauß in den Händen, eine anscheinend „normale“ Situation: doch an ihren Mänteln ist der vorgeschriebene „Gelbe Stern“ befestigt, den Jüdinnen und Juden seit dem 1. September 1941 tragen müssen.

Erster gemeinsamer Wohnort
Bei ihrer Eheschließung lebten Hilde und Helmut Gerson in der Prenzlauer Allee 46. Er war gelernter Kaufmann in einer Konfektionsfirma, musste jedoch ab 1940 auf dem Jüdischen Friedhof als „Erdarbeiter“ Zwangsarbeit leisten. Hilde war examinierte Krankenschwester und arbeitete mit Erlaubnis der Behörden als „Jüdische Krankenschwester“ im Jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße in Berlin-Wedding.

(Anna Fischer)

Familien
Am 14. Juni 1921 wurde Hilde Lotte in Berlin-Wilmersdorf als älteste Tochter des Zahnarztes Dr. Martin Cohn (man sieht ihn links im Bild als Trauzeuge der Braut) und seiner Frau Toni in Berlin geboren. Beide Eltern wurden im März 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Hildes jüngere Schwester Susi (verheiratete Podgurski) gelangte am 20. Juni 1939 mit einem Kindertransport nach England.
Helmut, geboren am 25. Februar 1909 in Berlin, war der Sohn von James Gerson und seiner Frau Helene, geborene Less. James Gerson wurde im Zuchthaus Luckau inhaftiert, 1941 in das Konzentrationslager Buchenwald verbracht und am 12. März 1942 in einer Tötungsanstalt in Bernburg a. d. Saale ermordet. Seine sterblichen Überreste wurden an den Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee überführt und neben dem Grab seiner Frau Helene, die 1940 verstorben war, beigesetzt.
Dem zweiten Sohn, Manfred Leon Gerson, gelang die Emigration nach Amsterdam, von dort wurde er später nach Auschwitz deportiert und ermordet. Nur wenige Angaben lassen sich zur Schwester von Helmut Gerson, Liese Lotte, finden. Sie heiratete Walter Löwenthal (rechts im Bild als Trauzeuge des Bräutigams). Das Paar wurde am 17. Mai 1943 nach Theresienstadt deportiert und im September 1944 in Auschwitz ermordet.

Familien
Am 14. Juni 1921 wurde Hilde Lotte in Berlin-Wilmersdorf als älteste Tochter des Zahnarztes Dr. Martin Cohn (man sieht ihn links im Bild als Trauzeuge der Braut) und seiner Frau Toni in Berlin geboren. Beide Eltern wurden im März 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Hildes jüngere Schwester Susi (verheiratete Podgurski) gelangte am 20. Juni 1939 mit einem Kindertransport nach England.
Helmut, geboren am 25. Februar 1909 in Berlin, war der Sohn von James Gerson und seiner Frau Helene, geborene Less. James Gerson wurde im Zuchthaus Luckau inhaftiert, 1941 in das Konzentrationslager Buchenwald verbracht und am 12. März 1942 in einer Tötungsanstalt in Bernburg a. d. Saale ermordet. Seine sterblichen Überreste wurden an den Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee überführt und neben dem Grab seiner Frau Helene, die 1940 verstorben war, beigesetzt.
Dem zweiten Sohn, Manfred Leon Gerson, gelang die Emigration nach Amsterdam, von dort wurde er später nach Auschwitz deportiert und ermordet. Nur wenige Angaben lassen sich zur Schwester von Helmut Gerson, Liese Lotte, finden. Sie heiratete Walter Löwenthal (rechts im Bild als Trauzeuge des Bräutigams). Das Paar wurde am 17. Mai 1943 nach Theresienstadt deportiert und im September 1944 in Auschwitz ermordet.

Trauung
Hilde und Helmut Gerson entschlossen sich zu einem Zeitpunkt in Berlin zu heiraten, als es für Juden immer gefährlicher wurde, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Wieso war diese Hochzeit dennoch von Bedeutung für das Paar? War es Lebensfreude in dieser bedrängten Zeit? Oder die Hoffnung auf ein geschütztes Leben? Es ist nicht bekannt, ob das Paar nach seiner standesamtlichen Trauung gemäß jüdischer Tradition unter einem Traubaldachin trat. Auch nicht, ob ein Hochzeitsvertrag unterschrieben wurde.

Kinder
Am 21. Oktober 1942 brachte Hilde Gerson die Zwillinge Joel und Amon im Jüdischen Krankenhaus zur Welt. Beide Jungen verstarben am 29. bzw. 30. Oktober 1942 an „Lebensschwäche“. Sie wurden auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt.


Hilde und Helmut Gerson entschlossen sich zu einem Zeitpunkt in Berlin zu heiraten, als es für Juden immer gefährlicher wurde, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Wieso war diese Hochzeit dennoch von Bedeutung für das Paar? War es Lebensfreude in dieser bedrängten Zeit? Oder die Hoffnung auf ein geschütztes Leben? Es ist nicht bekannt, ob das Paar nach seiner standesamtlichen Trauung gemäß jüdischer Tradition unter einem Traubaldachin trat. Auch nicht, ob ein Hochzeitsvertrag unterschrieben wurde.

Familien
Am 14. Juni 1921 wurde Hilde Lotte in Berlin-Wilmersdorf als älteste Tochter des Zahnarztes Dr. Martin Cohn (man sieht ihn links im Bild als Trauzeuge der Braut) und seiner Frau Toni in Berlin geboren. Beide Eltern wurden im März 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Hildes jüngere Schwester Susi (verheiratete Podgurski) gelangte am 20. Juni 1939 mit einem Kindertransport nach England.
Helmut, geboren am 25. Februar 1909 in Berlin, war der Sohn von James Gerson und seiner Frau Helene, geborene Less. James Gerson wurde im Zuchthaus Luckau inhaftiert, 1941 in das Konzentrationslager Buchenwald verbracht und am 12. März 1942 in einer Tötungsanstalt in Bernburg a. d. Saale ermordet. Seine sterblichen Überreste wurden an den Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee überführt und neben dem Grab seiner Frau Helene, die 1940 verstorben war, beigesetzt.
Dem zweiten Sohn, Manfred Leon Gerson, gelang die Emigration nach Amsterdam, von dort wurde er später nach Auschwitz deportiert und ermordet. Nur wenige Angaben lassen sich zur Schwester von Helmut Gerson, Liese Lotte, finden. Sie heiratete Walter Löwenthal (rechts im Bild als Trauzeuge des Bräutigams). Das Paar wurde am 17. Mai 1943 nach Theresienstadt deportiert und im September 1944 in Auschwitz ermordet.

Trauung
Hilde und Helmut Gerson entschlossen sich zu einem Zeitpunkt in Berlin zu heiraten, als es für Juden immer gefährlicher wurde, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Wieso war diese Hochzeit dennoch von Bedeutung für das Paar? War es Lebensfreude in dieser bedrängten Zeit? Oder die Hoffnung auf ein geschütztes Leben? Es ist nicht bekannt, ob das Paar nach seiner standesamtlichen Trauung gemäß jüdischer Tradition unter einem Traubaldachin trat. Auch nicht, ob ein Hochzeitsvertrag unterschrieben wurde.

Kinder
Am 21. Oktober 1942 brachte Hilde Gerson die Zwillinge Joel und Amon im Jüdischen Krankenhaus zur Welt. Beide Jungen verstarben am 29. bzw. 30. Oktober 1942 an „Lebensschwäche“. Sie wurden auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt.


Am 21. Oktober 1942 brachte Hilde Gerson die Zwillinge Joel und Amon im Jüdischen Krankenhaus zur Welt. Beide Jungen verstarben am 29. bzw. 30. Oktober 1942 an „Lebensschwäche“. Sie wurden auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt.

(Anna Fischer)

Deportation
Wenige Monate später, am 1. Februar 1943, wurde dem Ehepaar Gerson durch die Gestapo die Verfügung zugestellt über die Einziehung ihres Vermögens. Zusammen mit der Schwester von Helmut Gerson, Liese Lotte, und dem Schwager, Walter Löwenthal, wurden sie am 17. Mai 1943 aus der gemeinsamen Wohnung in der Langhansstraße 146 Berlin-Weißensee in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert.
Helmut Gerson leistete Zwangsarbeit in einem Außenkommando von Theresienstadt, in Wulkow bei Berlin. Er konnte einen sogenannten Transportschutz für seine Ehefrau erwirken. 1945 wurde er nach Theresienstadt zurückgebracht und dort zusammen mit seiner Frau von der Roten Armee befreit.

Rückkehr
Nach ihrer Rückkehr im Juni 1945 bezog das Paar eine Wohnung im Prenzlauer Berg in der Wigandstaler Straße 44. Helmut Gerson war kurzzeitig für die Jüdische Gemeinde tätig; Hilde arbeitete erneut im Jüdischen Krankenhaus. Durch die Folgen der Mangelernährung schwer geschädigt, verstarb sie im Alter von 26 Jahren am 21. März 1947 im Jüdischen Krankenhaus an Lungentuberkulose. Helmut Gerson beerdigte seine Frau neben seinen Eltern auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee.

Zweite Heirat
Am 23. Oktober 1953, heiratete Helmut Gerson ein zweites Mal. Käthe Gerson, geborene Hagen wurde am 11. April 1926 in Berlin geboren. Sie trat für ihren Mann zum Judentum über.
Helmut und Käthe Gerson lebten in der Pommerschen Straße 16 in Berlin-Wilmersdorf. Sie hatten keine Kinder. Helmut Gerson verstarb am 5. April 1985 und Käthe Gerson am 29. Juni 2011 in Berlin. Beide wurden auf dem Friedhof in der Heerstraße in Berlin-Charlottenburg beigesetzt.

(Anna Fischer)

Alfred Moritz und Charlotte Rosenthal

Alfred Moritz Rosenthal wurde am 23. Juli 1886 als erstes Kind des jüdischen Kaufmanns Max Rosenthal und seiner evangelischen Ehefrau Rosa geb. Jacobi in Bischofsburg, Kreis Rössel/Ostpreußen geboren. Das Ehepaar hatte neben ihm noch weitere drei Söhne: Walter (1888-1944), Felix (1891-1962) und Kurt (1894-1918). In Rastenburg besuchte Alfred das humanistische Gymnasium, wo er 1905 sein Abitur ablegte. Von 1906 bis August 1909 absolvierte Alfred eine Lehre in der Buch- und Lehrmittelhandlung, Antiquariat Wilhelm Koch in Königsberg. Volontariate in Breslau, Hamburg und Paris und eine erste Arbeitsstelle in Thorn folgten.

Erster Weltkrieg
Gleich nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges diente Alfred Rosenthal bis November 1918 als Wehrmann, Landsturmmann und Gefreiter vorwiegend an der Ostfront, später 1918 im Westen (Flandern). Seine Brüder waren ebenfalls während der gesamten Kriegszeit Soldaten. Kurt, fiel noch in den letzten Kriegstagen (19.10.1918) in Frankreich.

Nachkriegszeit und Heirat
Nach Ende des Krieges zog Alfred Rosenthal nach Berlin und eröffnete 1919 eine kleine Buchhandlung in Berlin-Halensee, Crampasplatz 4. Zwei Jahre später lernte er Charlotte Henriette Martha Möbius kennen. Sie wurde als Tochter des evangelischen Ehepaars Adolf Möbius und Martha Freese am 5. April 1896 in Berlin geboren. Alfred und Charlotte heirateten am 22. April 1922 in Berlin. Den Lebensunterhalt für die Familie bestritt er nach Aufgabe der Buchhandlung infolge der Weltwirtschaftskrise als Reisebuchhändler. Am 22. August.1924 wurde ihr einziger Sohn Hans Alfred in Berlin geboren.

(Sabine Hank)

Beginnende Verfolgung und Flucht
Obwohl oder gerade weil sich die Lebensbedingungen für Juden immer mehr verschlechterten, traten Hans Alfred und seine Mutter Charlotte im April 1935 in die Jüdische Gemeinde ein. Hans Alfred galt nach den Nürnberger Rassegesetzen als „Mischling ersten Grades“ und musste, wie sein Vater, den Stern tragen. Da die Familie zu dieser Zeit in eine Wohnung in der Großen Hamburger Straße 30 umgezogen war, besuchten sie die Gottesdienste in der Neue Synagoge in der Oranienburger Straße, also quasi um die Ecke. Nach den Pogromen im November 1938 konnte Alfred Rosenthal zunächst durch Flucht zu nichtjüdischen Verwandten seiner Frau einer Verhaftung entgehen. Sein Bruder Felix allerdings wurde im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert und am 15. Dezember 1938 mit der Maßgabe entlassen, so schnell wie möglich Deutschland zu verlassen. Die beiden Brüder beschlossen nach Shanghai zu emigrieren, da dort kein Visum für eine Einreise benötig wurde. Sie trafen am 22. Mai 1939 dort ein.

Freundin Lilli
Die langjährige Freundin Lilli Goldring geb. Feeken (1897-1995), schreibt Charlotte Rosenthal im April 1939 zu ihrem Geburtstag einen Brief. Darin spricht sie ihr Mut zu, die schwere Zeit ohne ihren Mann zu überstehen. Lilli Goldring befand sich in einer ähnlichen Lebenssituation. Auch sie war evangelisch und seit 1923 mit einem jüdischen Ehemann, Dagobert Goldring (1886-1985), verheiratet. Er wurde nach den Novemberpogromen 1938 ebenfalls im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert und musste später Zwangsarbeit leisten.

Sohn Hans Alfred
Im Oktober 1939 begann Hans Alfred eine landwirtschaftliche Ausbildung in einem Hachschara-Lager in Schniebinchen in der Niederlausitz, die er aber wegen Erkrankung im Frühjahr 1940 vorzeitig abbrechen musste. Danach fing er eine Schlosserlehre in einer jüdischen Ausbildungsstätte in der Schönhauser Allee an. Nach Schließung aller jüdischen Einrichtungen im April 1941 musste Hans Alfred bis Februar 1943 Zwangsarbeit bei der Firma Erich & Graetz leisten.

(Sabine Hank)

Scheidung
Am 19. März 1943 ließ sich Charlotte Rosenthal von ihrem Ehemann Alfred scheiden. Es ist anzunehmen, dass sie sich und ihren Sohn damit schützen wollte. Hierfür spricht, dass die beiden mit ihm in Kontakt und gedanklich verbunden blieben. In einem Brief vom September 1941 aus Shanghai bedankt sich Alfred voller Freude für die gerade erhaltenen Briefe und Karten. So schreibt er: „Unsäglich dankbar bin ich Euch für Eure Liebe […]. Wie fehlt Ihr mir meine beiden Lieblinge, die Ihr für mich den Begriff Heimat einzig umschliesst. Neben mir liegen […] Eure Briefe. Es zerschneidet mir das Herz, dass ich Euch auch dieses Mal nicht zu einem schöneren und einem glücklicheren neuen Jahr verhelfen kann. Gott sei mit Euch. Bis zum letzten Atemzug bleibt Euch in Liebe nah…“.

Verstärkte Verfolgung
Am 1. März 1943 wurde Hans Alfred in das Sammellager Rosenstraße eingeliefert. Durch die anschließenden Demonstrationen der Frauen und Mütter der Inhaftierten, dem sog. Protest in der Rosenstraße, an dem auch Charlotte Rosenthal jeden Tag teilnahm, wurden die meisten nach wenigen Tagen wieder entlassen, so auch ihr Sohn. Er musste dann bis Kriegsende bei der Abbruchfirma Christian Fortmann in Steglitz Schwerstarbeit leisten. Seit seiner Entlassung aus der Rosenstraße wohnte er zu seiner Sicherheit bei der Schwester seiner Mutter, Helene Mittag, in einer Villa in Berlin-Köpenick, Slevogtweg 10. Charlotte Rosenthal litt durch die äußerst knappen Lebensmittelzuteilungen seit 1944 an Hungertyphus und musste mehrere Wochen im Krankenhaus behandelt werden. Die Folge waren unter anderem eine schwere Herzmuskelerkrankung und starke Gewichtsabnahme. Auch Hans Alfred befand sich nach Kriegsende in einem sehr schlechten Gesundheitszustand. Dazu kam, dass beide völlig mittellos waren. Aber sie hatten überlebt und hofften auf ein baldiges Wiedersehen mit dem Ehemann und Vater.

Rückkehr und Neuanfang
Erst im Juli 1947 konnte Alfred Rosenthal mit vielen anderen Flüchtlingen auf dem Schiff „Marine Lynx“ von Shanghai zurückkehren. Mittlerweile 61 Jahre alt und tuberkulosekrank, traf er am 21. August 1947, also nach fast acht Jahren Trennung von seiner Familie, wieder in Berlin ein. Alfred Rosenthal und sein Sohn wurden als Opfer des Faschismus anerkannt. Charlotte Rosenthal konnte am 28. Juni 1948 wieder Mitglied der Jüdischen Gemeinde werden.

Zweite Heirat
Am 21. Dezember 1948 heirateten Alfred Rosenthal und Charlotte Möbius ein zweites Mal. Sie erhielten eine Wohnung in Berlin-Köpenick, Flemmingstraße 25 und nahmen, soweit es ihnen möglich war, am Gemeindeleben teil.
Alfred Rosenthal starb am 19. Juni 1970 und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt. Charlotte wohnte zuletzt in einem Pflegeheim in Blankenburg bei Berlin und starb dort am 31. Oktober 1982. Sie wurde neben ihrem Ehemann beigesetzt.

(Sabine Hank)

Presse

Heiraten im Jüdischen Berlin

15.08.2021, Jüdische Allgemeine, Sigrid Hoff

Heiraten unter dem Davidstern in Berlin

15.08.2021, RBB Kulturradio, Sigrid Hoff

Als Max Liebermann Hühnersuppe kochte

17.09.2021, Tagesspiegel, Rolf Brockschmidt

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