Zwischen Bleiben und Gehen

Juden in Deutschland 1945 bis 1956

Zehn Biographien

06.04.2008 – 30.06.2008
kuratiert von Andreas Weigelt

Andreas Weigelt

Zwischen Bleiben und Gehen

Die wenigen überlebenden Juden in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und im Sowjetischen Sektor Berlins gerieten bald nach ihrer Befreiung zwischen die Fronten des Kalten Krieges. Wurde schon der Tatsache, dass sie während der nationalsozialistischen Verfolgung überlebt hatten, häufig mit Misstrauen begegnet, so erschienen sie durch ihre Forderung nach Entschädigung, ihr Eintreten für den Staat Israel oder auch nur durch ihre „bürgerliche Lebensweise“ in den Augen der sowjetischen Besatzungsmacht und der SED-Führung als fremde oder sogar „feindliche Elemente“.

Mit der Spaltung Deutschlands und den stalinistischen Säuberungen in Osteuropa, die in den antisemitischen Strafprozessen gipfelten, sahen sich nicht nur Kommunisten, die jüdischer Herkunft waren, besonderen Anfeindungen ausgesetzt. Die jüdischen Gemeinden wurden mehr und mehr als westliche oder israelische Agentenzentralen betrachtet. Gemeindemitglieder wie auch jüdische Kommunisten wurden mitunter als „jüdische Nationalisten“ von der Staatssicherheit überwacht.

Andreas Weigelt

Zwischen Bleiben und Gehen

 Juden aus der DDR Anfang 1953 verloren die Jüdischen Gemeinden in der DDR einen großen Teil ihrer Autonomie. Die Ausstellung dokumentiert anhand von zehn ausgewählten Lebensläufen das Spektrum der politischen Repression in Ostdeutschland, die sich im Kontext des Kalten Krieges massiv antijüdischer Vorurteile bediente.

Vorgestellt werden

Otto Ephraim; Textilfabrikant in Cottbus vor 1945
Josef Jubelski; Textilfabrikant in Birkenwerder und Berlin
Adalbert Kaba; Klein – Hotelbetreiber in Binz auf Rügen
Fritz Katten; Gemeinderepräsentant in Berlin und Polizeidirektor a.D.
Julius Meyer; Mitglied d. Gemeindevorstands Berlin, DDR-Volkskammer
Erich Nelhans; Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin
Eva Robinson; Tänzerin aus Jugoslawien
Ernest Wilkan; Leiter staatlicher Textilbetriebe in Luckenwalde
Karl Wolfsohn; Bürgermeister in Markgrafpieske
Leo Zuckermann; DDR-Staatssekretär a.D.

Juden in Ostdeutschland 1945 – 1956
Zehn Biographien

Otto Ephraim, 1889 – 1951

“… seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft…”

Julius Meyer, 1909-1979

“Der zionistische Agent Julius Meyer und seine Auftraggeber…”

Adalbert Bela Kaba-Klein, 1895-1962

“Das Küstengebiet der Deutschen Demokratischen Republik wird endgültig von solchen Elementen gesäubert werden.”

Josef Jubelski, 1888-1959

“Das Verhalten von Herrn J. erregt in Birkenwerder öffentliches Ärgernis.”

Erich Nellhans, 1899-1950

“…gründete Ende 1945 aus eigener Initiative eine so genannte >Jüdische Gemeinde< in Berlin…”

Karl Wolfsohn, 1887-1946

“…trat 1938 freiwillig einer profaschistischen jüdischen zionistischen Organisation bei…”

Fritz Katten, 1898-1964

“Die näheren Gründe seiner Verurteilung sind hier nicht bekannt.”

Eva Robinson, 1918

“…den Frieden des deutschen Volkes gefährdet…”

Leon Zuckermann, 1908-1985

“Die Politik hat sich geändert und ich stehe als jüdischer Nationalist da.”

Ernest Wilkan, 1898-1949

“…ausgesuchter Volksverderber…”

Vorbemerkung zum Begleitband

“Am 28. Juli 1945 vollzog ich der kleinen Synagoge des Jüdischen Krankenhauses die erste Einsegnung eines Knaben. Am folgenden Tag, es war ein Sonntag, der 29. Juli, traute ich das erste jüdische Brautpaar in Berlin. Das war in der kleinen Synagoge Rykestraße. Zwei Menschen hatten sich bei dem gleichen furchtbaren Leid, inmitten von Mord und Barbarei, im Vernichtungslager Auschwitz gefunden. So wie ich im Jahre 1943 die letzte Trauung in Berlin in einer Zeit der tiefsten und dunkelsten Verfolgungsnacht vollzog, so traute ich nun das erste Brautpaar im Lichte der so lang herbeigesehnten Freiheit. Dies war der erste große Freudentag der wiedererstandenen Berliner Gemeinde.” *

Dies formulierte mein Lehrer Rabbiner Martin Riesenburger bereits in der ersten Auflage seiner Erinnerungen, die er mit dem Untertitel “Ein Zeugnis aus der Nacht des Faschismus” versah. Schwer zu sagen, wann ich diese Erinnerung das erste Mal las; viele Bücher bekam ich von ihm geschenkt, das aber besitze ich ohne seine Widmung in meiner Bibliothek.

Woche für Woche – es war nach meiner Erinnerung immer noch montags – fuhr ich in den Jahren 1961 bis etwa 1964 mit dem Autobus 45 um 15:05 Uhr ab Pankow Kirche zu Riesenburgers Wohnung nach Weißensee, die sich in der ersten Etage des Verwaltungsgebäude des Friedhofs befand, um am Religionsunterricht teilzunehmen; Riesenburger bereitete mich auf meine Barmizwa vor, die am 28. April 1962 in der Synagoge Rykestraße stattfand. Damals kannte ich Riesenburgers Erinnerungen, die ich danach immer wieder zur Hand nahm. Und immer habe ich mich gefragt, wer war “das erste jüdische Brautpaar”? Eine Frage, die sich auch meine Kollegin Chana Schütz stellte – und mich vermutlich konsultierte -, als sie im Jahr 1988 den Berlin-Teil der Ausstellung “Jüdische Lebenswelten” konzipierte. Letztmalig tauchte die Frage auf, als Riesenburgers Erinnerungen von Andreas Nachama und mir vor wenigen Jahren noch einmal herausgegeben wurden. Ob Riesenburger 1960 eine Veranlassung hatte, den Namen des Brautpaares nicht zu nennen, habe ich mich nie gefragt und nun gelernt, dass er eine hatte. Mein in meinen Augen mutiger Lehrer hat es 1960 nicht gewagt, zu sagen, um wen es sich handelte, weil der Name in dem Teil Deutschlands, in dem Riesenburger lebte und wirkte, ein Un-Name war.

Das Rätsel kann heute dank der Forschungen von Andreas Weigelt entschlüsselt werden: Es waren Ruth Glückmann und Julius Meyer.
Meyers Schicksal wird in diesem Band neben mehreren anderen intensiv nachgegangen. Es ist, nachdem ich die Lebensbilder wiederholt gelesen habe, das mich am stärksten bewegende.

Wir setzen auch ihm mit diesem Band und unserer Ausstellung “Zwischen Bleiben und Gehen. Juden in Ostdeutschland 1945 bis 1956” ein längst verdientes Denkmal. Möge sein Leben und Wirken – wie das aller anderen Juden, die Opfer politischer Repression in Ostdeutschland wurden, nicht vergessen werden.

Hermann Simon
Direktor der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum

*Martin Riesenburger, Das Licht verlöschte nicht. Ein Zeugnis aus der Nacht des Faschismus. Herausgegeben und mit Beiträgen zur Erinnerung an ein Berliner Rabbinerleben von Andreas Nachama und Herman Simon, Teetz 2003 [Jüdische Memoiren, Band 5], S. 97.

Good to know.

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